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Vergiftet

Vergiftet

Titel: Vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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dem Schrank nimmt. Sie ist kleiner, als er gedacht hat, und erfrischend ungeschminkt. Er hat eine Frau erwartet, die jeden Bürgersteig als Catwalk nutzt oder die zumindest stärker vor einem fremden Mann »posiert«. Aber Veronica schlurft mit hängenden Schultern und krummem Rücken durch die Küche. Sie macht einen niedergeschlagenen Eindruck. Vielleicht funktioniert ihr Schutzmechanismus zu Hause nicht, denkt Henning. Vielleicht erlaubt sie es sich hier, unverstellt zu sein.
    Kurz darauf zieht der Duft von Kaffee durch den Raum. Henning bedankt sich, als sie eine Tasse vor ihn hinstellt.
    »Tore sagte, Sie wären Journalist«, stellt sie fest und setzt sich ihm gegenüber an den Tisch.
    »Ja. Ich arbeite für 123nyheter .«
    Veronica Nansen nimmt eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Tasche. Sie bietet Henning auch eine an, aber er lehnt kopfschüttelnd ab.
    »Mögen Sie Ihre Arbeit?«
    »Nein«, antwortet er und lächelt kurz.
    »Wieso nicht?«, fragt sie und zündet sich die Zigarette an.
    Henning starrt in die Flamme. »Ich weiß nicht, ob mir die Medienbranche generell gefällt, wenn ich ehrlich sein soll.«
    »Warum sind Sie dann in der Branche?«, fragt sie und bläst mit Nachdruck Rauch zwischen ihren vollen Lippen aus.
    »Weil es das Einzige ist, was ich kann.«
    »Das glaube ich nicht. Jeder Mensch hat verborgene Talente.«
    »Dann sind meine sehr gut verborgen.«
    Sie lächelt. »Gibt es nichts, das Sie gerne tun?«
    Henning zögert die Antwort hinaus. »Ich komponiere. Und spiele gern Klavier.«
    »Und warum machen Sie das dann nicht?«
    »Weil ich nicht gut genug bin.«
    »Sagt wer?«
    »Sage ich.«
    Veronica Nansen legt die Stirn in Falten und zieht erneut an der Zigarette.
    »Außerdem habe ich schon eine ganze Weile nicht mehr gespielt …«
    »Haben Sie nicht gerade gesagt, Sie spielen gern Klavier?«
    »Ja.«
    »Und wieso haben Sie dann schon länger nicht mehr gespielt?«
    Sie hält seinen Blick fest.
    »Weil … weil ich nicht die Kraft dazu habe.«
    Henning senkt den Blick, überrascht, wie schnell das Gespräch so intim werden konnte. Dass sie an diesen Punkt gekommen sind.
    »Es erinnert mich an meinen Sohn«, sagt er leise. »Und das … das …«
    »Tore hat mir erzählt, was passiert ist.«
    Henning schaut auf. »Hat er das? Was hat er gesagt?«
    »Er hat erzählt, dass Sie Ihren Sohn bei einem Brand verloren haben.«
    »Hat er noch mehr gesagt?«
    »Nein.«
    Sie sagt weiter nichts. Sieht der Rauchschleife hinterher, die von der Glut aufsteigt.
    »Er hat früher mal von meinem Sohn erzählt?«
    »Nein, warum sollte er?«, antwortet sie.
    Darauf hat Henning keine Antwort. Veronica nimmt erneut einen kräftigen Zug.
    »Probieren Sie, wieder zu spielen«, sagt sie und lässt den Rauch nach oben steigen. »Um Ihretwillen. Möglicherweise werden Sie überrascht sein. Vielleicht tut es Ihnen ja gut.«
    »Das glaube ich nicht«, antwortet er.
    Sie trinken schweigend von ihrem Kaffee.
    »Und Sie sind eine Model-Mutter?«
    »Ja«, sagt sie. »Irgendjemand muss ja auf sie aufpassen.«
    »Gibt es viel, wovor man sie schützen muss?«
    Veronica lächelt sanft. »Eines schönen Tages werde ich ein Buch schreiben über all die Dinge, die ich gesehen und erlebt habe.«
    »Aha.«
    Sie nickt und zieht wieder an der Zigarette.
    »Haben Sie viel zu tun?«
    »Momentan nicht. Seit der Finanzkrise ist es nicht mehr ganz einfach. Ich musste ein paar Leute entlassen, und das ist ja nie ein Vergnügen. Und dass Tore wegen Mordes verurteilt wurde, war auch nicht gerade eine große Hilfe.«
    Ihr Gesicht verfinstert sich.
    »Wie war es … hinterher?«, fragt Henning.
    Veronica Nansen seufzt. »Schwer war es, alles andere wäre gelogen. Ich hatte nicht die Energie, mich unter die Leute zu mischen.«
    Jetzt senkt sie den Blick. In dem warmen Licht, das durch das Küchenfenster fällt, erkennt er nur die Konturen ihres Gesichts.
    »Aber«, sagt sie und richtet sich ein wenig auf, »sprechen wir nicht über mich, das ist langweilig. Was wollen Sie wissen?«
    »So viel wie möglich.« Henning lächelt.
    »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll«, sagt sie und sieht ihn an. Ihr Pferdeschwanz ringelt sich wie eine Schlange in ihre Halsbeuge. In ihren eisblauen, scharfen Augen liegt etwas, das Henning nicht recht einordnen kann.
    »Ich habe mich ein wenig informiert«, beginnt er. »Wenn ich es richtig verstanden habe, wurde Tore am Tatort festgenommen, wo er sich mit Jocke Brolenius verabredet

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