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Vergiftet

Vergiftet

Titel: Vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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Hansen.
    »Danke für das nette Gespräch«, sagt Henning ironisch, macht aber, wozu er aufgefordert wurde. Aus dem Augenwinkel sieht er den Blick der Frau am Empfang. Sie scheint sich ausnahmsweise sogar mal zu amüsieren.
    81
    Er hört ein Geräusch. Unverkennbar ein Auto, das näherkommt. Thorleif steht auf und geht zu dem Fenster in der Küchennische. Unten an der Straße bleibt ein Audi kurz stehen, ehe er nach links in den Weg abbiegt, der an der Hütte vorbeiführt. Thorleifs Herz macht einen Satz. Panisch überlegt er, sich in der Speisekammer zu verstecken, als er am Rand der Kreuzung das Schild Immobilien-Makler 1 sieht. Das stand gestern noch nicht dort.
    Dann wird irgendwo hier oben am Wochenende wohl eine Hausbesichtigung sein, denkt er. Wahrscheinlich kommen viele Leute. Thorleif flucht innerlich, als er hört, wie ein Reifen des Wagens auf dem Schotter durchdreht. Er versteckt sich hinter der Gardine, als der Wagen vorbeifährt. Mit einem Seufzer setzt er sich wieder an den Couchtisch, wo Block und Stift auf ihn warten.
    Von Mia inspiriert, hat er sich gestern Abend noch zum Schreiben hingesetzt – ein Versuch, sich irgendwie zu beschäftigen, weil er zum Lesen zu unruhig ist. Er hat dabei gleich gemerkt, wie gut es tut, einmal wieder auf die herkömmliche, altmodische Art Sätze zu formulieren.
    Er hat seinen Bericht mit dem Mann angefangen, der ihn gezwungen hat, Tore Pulli zu töten, wobei er versucht hat, ihn so detailliert wie möglich zu beschreiben. Vielleicht ist ihm das später von Nutzen. Danach hat er versucht, in Worte zu fassen, was er die letzten Tage durchgemacht hat. Irgendwann ist ihm aufgegangen, dass er im Grunde genommen gerade eine Art Geständnis schreibt, eine Entschuldigung an Tore Pulli und seine Familie. Die Worte scheinen ihren eigenen Willen zu haben.
    Es ist Samstag, denkt Thorleif, und bald zwölf Stunden her, dass er die E-Mail an Iver Gundersen geschrieben hat. Wenn er sie gestern Abend nicht mehr bei der Arbeit bekommen hat, sollte er sie heute lesen. Im ungünstigsten Fall sieht er sie vielleicht erst am Montag. Mit ein bisschen Glück ruft er seine E-Mails aber per Handy ab und ist rund um die Uhr erreichbar. Dann könnte er bereits aktiv geworden sein und sich mit Leuten, die er kennt und denen er vertraut, in Verbindung gesetzt haben.
    Noch gibt es Hoffnung, macht Thorleif sich selbst Mut.
    Man darf die Hoffnung nie aufgeben.
    82
    Henning findet Nora auf einem Stuhl vor dem Zimmer, in dem Iver zur Überwachung liegt. Sie ist blass. Die Ringe unter ihren Augen sind dunkel, aber sie ist schön wie eh und je. Sie steht auf, als Henning auf sie zukommt.
    »Wie geht es ihm?«, fragt er. »Irgendeine Veränderung?«
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Er ist zwischendurch nicht wach geworden?«
    »Nein.«
    »Was sagen die Ärzte?«
    »Noch nicht viel. Sie warten darauf, dass er aufwacht.«
    Henning nickt und sieht sie an.
    »Und wie geht es dir?«
    Sie hebt den Blick. Ihre Augen sind verquollen.
    »Vergiss es«, sagt er. »Dumme Frage. Hast du etwas gegessen?«
    Sie sieht ihn an, als wäre ihr das Konzept Essen völlig fremd.
    »Du musst etwas essen, Nora.«
    Ein paar Sekunden ist es still zwischen ihnen. Dann sagt sie: »Du auch, Henning.«
    Sie stehen voreinander und sehen sich an.
    »Na dann«, sagt er.
    Sie gehen ins Krankenhauscafé. Henning holt sich einen Kaffee, Nora einen Tee. Wie immer mit zwei Löffeln Zucker. Henning nimmt sich ein Baguette mit Käse und Schinken und lässt es in der Mikrowelle aufwärmen, aber weder er noch sie haben richtig Appetit.
    Er beobachtet sie insgeheim. Die dünnen senkrechten Linien auf ihren Lippen sind ihm noch nie aufgefallen. Wie eingeritzt. Nach allem, was geschehen ist, ist es merkwürdig, mit ihr an einem Tisch zu sitzen. Noras Blick ist irgendwie weit weg, und in ihren Augen liegt tiefe Traurigkeit.
    »Die Polizei weiß noch nicht, wer es war«, sagt er.
    »Hm?«
    »Der Täter. Sie haben noch keine Spur.«
    »Hm.«
    Henning nimmt einen Schluck Kaffee. Er weiß, dass noch andere Menschen in dem Café sitzen, trotzdem sieht er nur Nora, fühlt sich wie gefangen in ihrem Kraftfeld, aus dem er sich eigentlich gar nicht befreien will. Mit ihr an einem Tisch zu sitzen, gemeinsam etwas zu essen und zu trinken, macht es schwer, nicht an die schönen Zeiten zu denken, die sie zusammen hatten, bevor alles so verdammt kompliziert wurde. Vor Jonas. Er weiß, dass sie sich damals aus tiefstem Innersten geliebt haben.
    Sie sitzen eine Weile

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