Vergiftet
Magenproblemen im Bett gelegen und mich zigmal angerufen wegen Sachen, die ich sowieso jeden Tag mache.« Wieder wischt sie sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Hat er sonst noch etwas Ungewöhnliches getan?«
»Er hat ein Auto gemalt.«
Henning räumt ihr die Zeit ein, die sie braucht.
»Und die Zeichnung unter mein Kopfkissen gelegt.«
»Was glauben Sie, warum er das getan hat?«
Sie schüttelt den Kopf, öffnet ihre Tasche und nimmt die Zeichnung heraus. Henning wirft einen Blick darauf und bekommt große Augen, als er liest, was Thorleif Brenden unten auf das Blatt geschrieben hat.
Sollte mir irgendetwas zustoßen – geh zur Polizei, und sag ihnen, sie sollen nach Furio suchen. Ich weiß nicht, zu was er mich zwingen wird oder warum, aber ich muss tun, was sie sagen, um euch zu schützen.
»Wer ist Furio?«, fragt Henning. Sein Herz beginnt, schneller zu schlagen. Früher hat er für Augenblicke wie diese gelebt.
»Ich bin mir nicht sicher«, sagt Haaland. »Aber ich habe ihn schon mal gesehen. Glaube ich. Er hat mich vor ein paar Tagen interviewt.«
»Ein Journalist?«
»Das hat er zumindest gesagt, aber ich glaube nicht, dass er wirklich Journalist war.«
»Warum nicht?«
»Weil das Interview, das er geführt hat, nie erschienen ist.«
Henning mustert sie. »Für welche Zeitung?«
» Aftenposten .«
»Und der Mann heißt Furio?«
»Nein«, sagt sie und senkt den Blick. »Aber er hat Ähnlichkeit mit Furio aus den Sopranos , falls Sie die Serie kennen.«
Henning nickt. »In seiner Art oder vom Aussehen?«
»Sowohl als auch.«
Henning nickt erneut, nachdenklich. »Erinnern Sie sich noch an etwas anderes?«
»Nein.«
»Zu welchem Thema hat er Sie interviewt?«
»Was ich zu tun bereit wäre, um meine Familie zu schützen. Das sollte im Rahmen einer Straßenumfrage in der Zeitung erscheinen, aber …« Sie schüttelt den Kopf.
»Haben Sie Thorleif von dem Interview erzählt?«
Elisabeth Haaland nickt tränenerstickt.
»Und dieser Furio hat offenbar nach dem Interview Kontakt zu Thorleif aufgenommen?«
»Glauben Sie das nicht auch, wenn Sie das hier sehen?« Haaland sieht die Zeichnung an.
»Ja«, sagt Henning. »Hat er Norwegisch gesprochen?«
Sie sieht ihn erstaunt an. »Jetzt fragen Sie das auch!«
»Wie meinen Sie das?«
»Thorleif hat mich in den letzten Tagen immer wieder gefragt, ob die Leute, die ich getroffen habe, Norwegisch gesprochen haben. Ich wusste überhaupt nicht, was er von mir wollte. Und jetzt fragen Sie mich auch noch danach.«
»Tore Pulli ist für den Mord an einem schwedischen Geldeintreiber verurteilt worden«, sagt Henning ernst.
»Glauben Sie, seine Freunde haben Thorleif benutzt, um sich an Pulli zu rächen?«
»Ich weiß es nicht«, sagt Henning. »Dazu gibt es eigentlich keinen Grund. Pulli saß im Knast, und laut seinem Anwalt war nicht zu erwarten, dass in der Berufungsverhandlung irgendetwas aufgedeckt würde, das zu einem Freispruch führen könnte. Und selbst wenn, hätte es nur bedeutet, dass Joachim Brolenius’ eigentlicher Mörder immer noch frei herumläuft. Warum sollten sie Pulli also töten?« Er muss noch andere Feinde gehabt haben, denkt Henning.
»Hat sich sonst noch irgendwer in Ihrer Umgebung merkwürdig benommen?«
»Mir fällt nichts ein.«
»Und Ihnen ist auch sonst nichts Außergewöhnliches aufgefallen?«
»Nein.«
Ein paar Sekunden ist es still. Das Taxi beschleunigt auf der Henrik Ibsens gate Richtung Nationaltheater.
»Unser Alarm«, sagt Elisabeth Haaland unvermittelt und hebt den Blick.
»Hm?«
»Vor ein paar Tagen hat unsere Alarmanlage plötzlich den Geist aufgegeben.«
»Wann genau?«
»Daran erinnere ich mich nicht mehr. Am Sonntag, glaube ich.«
»Wie haben Sie gemerkt, dass sie nicht mehr funktioniert?«
»Wir haben einen Ausflug gemacht, wie oft an Sonntagen, und den Alarm eingeschaltet, ehe wir gefahren sind. Als wir zurückkamen, ging er nicht mehr. Die Anlage hatte keinen Strom. Thorleif wollte sich gleich Montag darum kümmern, aber …« Sie fängt wieder an zu weinen.
Henning denkt nach. Medienleute haben freien Zugang zu den Inhaftierten. Das Einzige, was sie abgeben müssen, ist ihr Mobiltelefon. Eine Leibesvisitation findet nicht statt. Irgendjemand muss von dem Interviewtermin gewusst haben und auch davon, welche Mitarbeiter von TV 2 mit ins Gefängnis kommen würden. Und dann haben sie sich denjenigen ausgesucht und erpresst, der am prädestiniertesten dafür war, den Mord für sie auszuführen.
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