Vergiftet
Die Frage ist nun, was sie nach der Tat mit Brenden gemacht haben. Vielleicht hat sein Verschwinden ja mit den Hintermännern zu tun.
Das sieht nicht gut aus, denkt Henning und mustert Elisabeth Haaland. Sie wischt sich über das Gesicht.
»Wann hat Thorleif angefangen, sich merkwürdig und abwesend zu verhalten? Erinnern Sie sich?«
»Einige Tage später, würde ich sagen. Ich bin mir nicht sicher.«
Ein paar Sekunden ist es still. Das Taxi nähert sich unaufhaltsam Grønland.
»Das ist eine sehr wichtige Spur«, sagt Henning und deutet auf die Zeichnung. »Erzählen Sie der Polizei alles, was Sie wissen, von dem Alarm bis hin zu diesem Furio. Versuchen Sie, ihn zu beschreiben, wie Sie ihn in Erinnerung haben. Die Beamten werden Ihnen sicher behilflich sein, ein Phantombild von ihm anzufertigen.«
»Ich weiß nicht, ob ich das schaffe«, sagt sie und weint wieder.
»Sie werden Ihnen helfen«, wiederholt Henning und legt eine Hand auf ihre Schulter. »Die haben Erfahrung mit solchen Dingen.«
Elisabeth Haaland nickt und versucht, sich zusammenzunehmen, als das Taxi vor dem Präsidium hält.
»Werden Sie etwas darüber schreiben?«, fragt sie.
»Das muss ich.«
»Was immer Sie schreiben, stellen Sie Thorleif nicht als Verbrecher hin. Ich weiß, wie die Leute solche Nachrichten lesen. Und ich will nicht, dass meine Kinder im Kindergarten oder in der Schule zu hören kriegen, was ihr Vater möglicherweise getan hat. Versprechen Sie mir das?«
»Wenn Sie wollen, rufe ich Sie an und lese Ihnen vor, was ich geschrieben habe, bevor es in Druck geht.«
»Ich weiß nicht, ob ich dazu die Kraft habe«, sagt sie leise. »Außerdem machen Sie … einen anständigen Eindruck.«
Henning lächelt. »Können Sie mir das schriftlich geben?«
Ihr verweintes Lächeln erfüllt ihn mit Mitleid.
»Ich muss los«, sagt sie. »Die erwarten mich.«
»Okay. Geben Sie nicht auf, Elisabeth.«
»Ich werde es versuchen«, sagt sie und steigt aus dem Wagen.
68
Ørjan Mjønes muss sich beherrschen, um nicht zu grinsen. Die Leute, die ihm auf dem Weg in den Osloer Hauptbahnhof begegnen, wenden eilig die Blicke ab, wenn er sie mustert. Es ist schon ein irres Gefühl, wie manche Leute den Kopf einziehen, sobald sie eine Polizeiuniform sehen, auch wenn sie gar nichts getan haben. Geradezu lächerlich.
Er geht zu den Ticketschaltern, nickt einer Frau hinter der Glasscheibe zu und bittet darum, mit einem Vorgesetzten reden zu können. Sie nennt ihm einen Namen, den er nicht ganz mitbekommt, aber im selben Moment erhebt sich weiter hinten ein korpulenter Mann von seinem Stuhl. Der Dicke packt seinen Gürtel, zieht sich die Hose hoch, schaut mit zugekniffenen Augen durch die Scheibe und ist mit ein paar unwilligen Schritten bei der Tür.
»Stian Henriksen«, sagt Mjønes und streckt eine Hand vor.
»Terje Eggen. Was kann ich für Sie tun?«
»Wir suchen nach dieser Person«, sagt Mjønes und zeigt das Foto, das Flurim Ahmetaj für ihn ausgedruckt hat. »Wir haben Grund zu der Annahme, dass er einen Menschen getötet hat, und wir wissen, dass er sich gestern gegen 13 Uhr hier im Hauptbahnhof aufgehalten hat. Wir gehen davon aus, dass er mit einem der Züge, die um diese Zeit abgefahren sind, Oslo verlassen hat. Ich brauche eine Liste über alle Abgänge in diesem Zeitraum.«
»Das sollte machbar sein. Punkt 13 Uhr?«
»Na ja, ein paar Minuten vorher und nachher wären auch gut. Zwischen 12.50 Uhr und 13.10 Uhr, da hätten wir schon mal was in der Hand.«
»Okay.«
Eggen verschwindet wieder in sein Glashaus. Mjønes wartet draußen, bis er einige Minuten später mit einem Ausdruck zurück ist. Mjønes studiert ihn gründlich, nickt ernst.
»Außerdem benötige ich eine Liste der Zugbegleiter, die in diesen Zügen gearbeitet haben, vorrangig die Langstreckenzüge. Ich komme dann auf Sie zurück, falls ich noch mehr Informationen brauche.«
»Um die Namen zusammenzukriegen, muss ich ein paar Telefonate führen. Das kann etwas dauern.«
»Dann dauert es eben.«
Eggen will gerade wieder das Glashaus betreten, als er stehen bleibt und sich umdreht.
»Wir haben hier drinnen über fünfhundert Kameras«, sagt Eggen und schaut nach oben. »Bestimmt gibt es Aufnahmen von ihm.«
Mjønes denkt schnell nach. »Ich habe Leute, die sich darum kümmern. Aber es reicht nicht, wenn wir wissen, in welchen Zug er gestiegen ist. Wir müssen auch wissen, wo er ausgestiegen ist. Und das können uns die Schaffner möglicherweise besser
Weitere Kostenlose Bücher