Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
deshalb in diesem Sommer so fasziniert von ihnen. »Wirklich?«, fragte ich.
»Oh ja«, nickte mein Großvater und war offenbar zufrieden mit dem Gesprächsthema. »Egal was passiert – unsere Sternbilder ändern sich nie. Und wenn du mal nicht weißt, wo du bist und dein GPS streikt, sagen dir die Sterne deine Position und zeigen dir den Weg nach Hause.«
Ich schaute wieder hinauf zu den Sternen über mir und dann fiel mein Blick erneut auf das Teleskop. »Zeigst du’s mir?«, fragte ich. Plötzlich wollte ich das, was ich in den letzten Monaten so oft betrachtet hatte, beim Namen nennen können.
»Aber gern.« Mein Großvater klang ein bisschen überrascht. »Komm her.«
Ich schaute durch das Okular, und plötzlich erschien kristallklar und direkt vor meinem Auge, was schon den ganzen Sommer lang auf mich herabgeleuchtet hatte.
Es war August. Die Tage wurden heiß und stickig, und meinem Vater ging es immer schlechter, viel schneller, als ich es erwartet hatte. Jetzt war ich doch froh über die Anwesenheit der vier Krankenpfleger und Schwestern, die sich alle acht Stunden abwechselten, einfach weil wir inzwischen völlig überfordert waren, wenn es um die nötige Hilfe für meinen Vater ging. Er brauchte Unterstützung beim Aufstehen, beim Laufen und im Bad. Wir gingen dazu über, ihn mit dem Rollstuhl von einem Zimmer zum anderen zu bringen, obwohl das eher selten passierte, da er die meiste Zeit schlafend verbrachte. Seine Medikamente und Schmerzmittel bekam er jetzt per Spritze und wir hatten einen knallroten Behälter für Medizinabfall in der Küche stehen, den der Pflegedienst leerte und der nicht mit unserem Müll nach draußen in den Bärenkasten ging.
Meinen Job hatte ich aufgegeben. Fred zeigte sich äußerst verständnisvoll – offenbar hatte er bei der Grillparty am 4. Juli gehört, wie die Dinge bei uns standen. Elliot simste mir öfter witzige Nachrichten, und Lucy kam jeden Tag nach der Arbeit vorbei, brachte mir eine Coke light mit und hörte mir zu, wenn ich reden wollte, oder wir quatschten und tratschten einfach, wenn ich Ablenkung brauchte.
Unsere Küche samt Kühlschrank füllte sich zusehends mit Aufläufen und Backwaren. Fred brachte Kühltaschen voll frisch geangelter Fische, und immer wenn Davy den Hund zum Ausführen abholte, hatte er eine grüne Kuchenschachtel aus der Nussecke dabei – gefüllt mit Muffins, Keksen oder Kuchen. Die Leute vom Pflegedienst freuten sich immer schon auf Davy. Und sogar die Gardners, die selbst nie kochten, brachten alle paar Tage eine Pizza vorbei.
Ich musste immer noch viel, viel öfter an Henry denken, als mir lieb war, und konnte nach wie vor nicht richtig schlafen. Aber mein Großvater schlief auch nicht gut, und so behielten wir unsere nächtliche Sternenschau bei. Während er schnitzte, erklärte er mir, wie ich das Teleskop ausrichten sollte, ließ mich beschreiben und nach einer Weile selbst identifizieren, was ich damit sah. Ich lernte, wie man die Sternbilder ausfindig machte, sodass ich sie bald auch ohne Teleskop erkannte. Ich hörte mit Erstaunen, dass man vieles am Himmel auch mit bloßem Auge erkennen konnte, zum Beispiel andere Planeten. Dabei waren sie schon die ganze Zeit da gewesen, ich hatte nur nicht gewusst, was ich dort oben sah.
Wir alle entfernten uns nie weit vom Haus, und nur, wenn es unbedingt nötig war, machten wir ein paar Besorgungen oder fuhren kurz in die Stadt. Mein Vater hatte immer noch einige gute Stunden am Tag, in denen er nicht schlief, und die wollte keiner von uns verpassen. Deshalb war ich ziemlich überrascht, als Lucy an einem Dienstag wie üblich vorbeikam und mir einen gemeinsamen Spaziergang vorschlug, womit meine Mutter sofort einverstanden war und geradezu darauf bestand, dass ich mit Lucy rausging.
»Ach, lass mal«, sagte ich und sah meine Mutter finster an, die neben uns auf der Veranda stand. Mein Vater hatte sich vor ungefähr vier Stunden schlafen gelegt. Ich wusste also, dass er bald aufwachen würde, und da wollte ich zu Hause sein.
»Nein, komm bitte mit«, drängte Lucy. »Ich muss mit dir über was Persönliches reden.«
Ich war drauf und dran, Lucy vorzuschlagen, das doch einfach am Steg oder bei mir im Zimmer zu erledigen, als ich ihren flehentlichen Blick sah. »Na, okay«, stimmte ich schulterzuckend zu. »Aber nur kurz.«
»Schön«, sagte meine Mutter prompt und ich fragte mich, wieso sie mich so unbedingt loswerden wollte. Aber vielleicht machte sie sich einfach nur Sorgen,
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