Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
Ordnung?« flüsterte sie mir zu, während ich mit ihr durch die Haustür nach draußen ging.
»Ich denke schon.« Ich drehte mich noch einmal kurz um und es erschütterte mich, wie klein mein Dad in den Armen meines Großvaters wirkte. Wahrscheinlich ungefähr so wie damals, als er so alt war wie Gelsey oder jünger – als er selbst noch ein kleiner Junge war. Leise schloss ich die Tür hinter mir, damit mein Großvater mit seinem Sohn eine Weile ungestört sein konnte.
In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Was an und für sich nichts Ungewöhnliches war. Ungewöhnlich war allerdings, dass ich damit nicht die Einzige war.
Normalerweise hätte ich nebenan bei Henry angeklopft, um mich bei ihm ein bisschen abzulenken. Aber die Gewissheit, dass ich genau das nicht tun konnte – und dass das meine eigene Entscheidung gewesen war –, machte mir das Wachliegen unerträglich.
Hinzu kam, dass die Lage durch die neue Schlafzimmerverteilung deutlich erschwert wurde. Mein Großvater war in Gelseys Zimmer untergebracht, und Gelsey schnarchte bei mir auf dem Ausziehbett. Wir hatten zwar vereinbart, uns mit dem Ausziehbett abzuwechseln, aber während ich so ihrem geräuschvollen Atmen lauschte, bedauerte ich sehr, dass ich nicht gleich die erste Nacht übernommen hatte. Jedenfalls wäre es so wesentlich leichter gewesen, aus dem Zimmer zu kommen, ohne über sie hinwegsteigen zu müssen. Aber als ich es gar nicht mehr aushielt, stahl ich mich doch kurzerhand aus dem Bett und kletterte mit angehaltenem Atem über sie drüber. Zum Glück wachte sie nicht auf, sondern seufzte nur leise im Schlaf und drehte sich auf die andere Seite. Erleichtert atmete ich aus, öffnete leise die Tür und ging hinaus in den Flur.
»Na hallo.« Mit einem entsetzten Quieken fuhr ich zusammen, obwohl es eine ausgesprochen vorsichtige Begrüßung gewesen war. Aber ich hatte vollkommen vergessen, dass da ja Paul saß, der bei meinem Vater die Nachtschicht übernommen hatte.
»Hallo«, flüsterte ich zurück und versuchte, meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Paul saß in einem Sessel neben dem Pflegebett, in dem mein Dad mit offenem Mund und schwerfälligem Atem schlief. Ich hatte Paul am Nachmittag schon gesehen, als er Melody ablöste – die Schwester, die zwar unaufhörlich lächelte, aber zu keinem ein Wort sagte. Paul schien wenigstens ein bisschen freundlicher zu sein. »Ich will bloß kurz ein bisschen, ähm, frische Luft schnappen«, erklärte ich ihm. Paul nickte und wandte sich wieder seinem Heft zu, das mir wie ein Comic aussah. Mir fiel auf, dass Murphy sein Körbchen verlassen und sich unter dem Bett meines Vaters zusammengerollt hatte. Auf dem Weg zur Tür musste ich an ihm vorbei, doch er rührte sich nicht von der Stelle und legte nur seinen Kopf auf die Vorderpfoten.
Ich ging nach draußen und stutzte wieder. Es war die zweite Überraschung innerhalb weniger Minuten, denn auf der Veranda stand mein Großvater in Schlafanzug, Bademantel und Lederpantoffeln und schaute durch ein beeindruckend aussehendes Teleskop. »Hallo«, sagte ich wieder, denn das war alles, was ich vor lauter Schreck herausbekam.
»Guten Abend«, erwiderte er und richtete sich auf. »Kannst wohl nicht schlafen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht so richtig.«
Mein Großvater seufzte. »Ich auch nicht.«
Ich starrte wie gebannt auf das Teleskop. Es war riesig und sah toll aus, aber ich war schon ziemlich erstaunt, dass er es mitgebracht hatte. »Was schaust du dir denn an?«
Er bedachte mich mit einem knappen Lächeln. »Kennst du dich aus mit den Sternen?«, fragte er. »Wenn ich mich recht entsinne, hab ich dir mal ein Buch zu dem Thema geschenkt. Ist aber schon ein paar Jahre her.«
»Oh, stimmt.« Mit rotem Kopf überlegte ich, wie ich ihm am besten beibringen konnte, dass ich über ein flüchtiges Durchblättern nie hinausgekommen war. »Also, ehrlich gesagt weiß ich nicht allzu viel darüber«, sagte ich und ging einen Schritt näher. »Aber es interessiert mich schon.«
Mein Großvater nickte. »Als Seemann muss man die Sterne kennen«, erklärte er. »An der Akademie wollten sie mich vom Gegenteil überzeugen. Diese neuen Offiziere erzählen ständig, dass das im Zeitalter von GPS überflüssig wäre. Aber wenn man sich mit den Sternbildern auskennt, verliert man nie die Orientierung.«
Ich trat noch einen Schritt näher und schaute hinauf in den Himmel. Hier gab es scheinbar viel mehr Sterne zu sehen als zu Hause. Vielleicht war ich
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