Vergiss es Baby - Roman
auf? Ich bin mir sicher, aus dir wird mal ein ganz passabler Ingenieur. Nebenbei kannst du vielleicht bei mir in der Firma arbeiten, ein Praktikum machen, oder so.«
Valentin wusste, sein Freund meinte es nur gut, und doch fühlte er, wie er langsam die Bodenhaftung verlor.
»Das ist nett gemeint, aber ich will nicht irgendwo als Programmierer landen. Ich bin Fußballer, Alibek. Mit meiner Seele! Nicht jeder kann von heute auf morgen Fußballschuhe an die Nageln hängen. Ich will spielen. Verstehst du, spielen!«
»Das weiß ich«, seufzte sein Freund. »Es wäre ja auch nur für den Übergang, bis du deinen Abschluss hast.«
Übergang! Im Profifußball gab es keinen Übergang. Und wenn, dann hieß er Transfer. Das bedeutete ein neuer Verein, jede Menge Kohle und ein Karrieresprung. Man stieg auf, nicht ab.
»Als Student hättest du auch die Sache mit den Papieren geregelt«, fuhr sein Freund ungerührt fort.
Ja, aber was kam dann? Alibek hatte gut reden. Seine Großmutter war Deutsche gewesen, damit galt er für den deutschen Staat als deutschstämmig. Natürlich war er im Besitz eines deutschen Passes, hatte die Sprache bereits mit der Muttermilch eingesogen und niemals Schwierigkeiten gehabt, sich in dem Land, in dem er seit mehr als zehn Jahren lebte, zurechtzufinden. Ganz im Gegensatz zu Valentin.
Mit dem Versprechen, er werde über Alibeks Vorschlag nachdenken, verabschiedete er sich.
Anschließend ging er in die Küche zurück, um sich endlich
einen weiteren Kaffee zu machen. Mit der Tasse in der Hand fläzte er sich im Wohnzimmer auf die Couch. Während er mit kleinen Schlucken den viel zu starken Espresso trank, starrte er auf die weiße Wand gegenüber, die so gut zur plötzlichen Leere in seinem Leben zu passte.
Was, zum Teufel, sollte er jetzt tun? Seine Gedanken überschlugen sich.
Die zentrale Frage war doch wohl, wer ihn, Valentin Balakev, bereits zweiundzwanzig Jahre alt, ehemals aufstrebendes Mittelfeldtalent, noch haben wollte?
Wo sollte er überhaupt hin? Sollte er in Europa bleiben? Oder lieber nach Afrika? Asien? Wie wär’s mit der Türkei? Eigentlich egal. Fußball wurde überall gespielt. Aber er hatte nicht jahrelang für die Chance gearbeitet, in der Bundesliga spielen zu können, um jetzt beim ersten Fehlschlag aufzugeben, mochte er noch so gravierend sein. Allein die Vorstellung, Deutschland wieder verlassen zu müssen, bereitete ihm tiefes Unbehagen. Gerade hatte er sich eingelebt. Sollte er jetzt, wo er sich wohlfühlte, die Sprache beherrschte und Freunde gefunden hatte, alles hinschmeißen? Nur, um woanders wieder bei Null anzufangen? Der Gedanke versetzte ihn in Unruhe. Er sprang auf. Kaffee tropfte auf das blanke Parkett und bildete eine hässliche Pfütze, in die er prompt hineintappte. Doch das bemerkte er gar nicht.
Mit der Tasse in der Hand tigerte er im Wohnzimmer auf und ab wie in einem Käfig, während er über seine Optionen in der zweiten Bundesliga nachdachte.
Zweite Liga! Das war zweite Wahl. Als Sprungbrett okay, aber ansonsten ein Rückschritt, wenn nicht das endgültige Abstellgleis.
Wie lange würde es wohl dauern, sich von dort aus nach oben zu spielen? Zwei Jahre? Drei? Dann war er vierundzwanzig oder bereits fünfundzwanzig. Zu alt, um international Karriere zu machen.
Sein durch endlos kreisende Gedanken geplagtes Hirn verlangte nach Ruhe. Doch er wusste, die würde er erst wieder finden, wenn er so etwas wie einen Plan hatte.
Es musste doch irgendetwas geben, was er tun konnte! Er konnte doch nicht seelenruhig hier sitzen, bis seine Aufenthaltsgenehmigung ablief und der deutsche Staat ihn aufforderte, das Land zu verlassen.
Er musste handeln. Jetzt. Solange er noch konnte. Sein Stolz war angekratzt. Aber das war nichts im Vergleich zu dem Verlust seines Selbstwertgefühls, das ihm drohte, sollte er nie wieder für einen renommierten Verein spielen können.
Einem spontanen Entschluss folgend, raste er die Treppe hinauf. Im Schlafzimmerschrank fand er eine uralte Reisetasche, die er längst hatte wegwerfen wollen. Im obersten Fach lagen seine Hemden, selbst gebügelt, ordentlich gestapelt und nach Farben sortiert. Wahllos warf er einige davon in die Tasche, ebenso einige T-Shirts, gefolgt von Jeans und Hosen. Einen Anzug würde er nicht brauchen. Oder doch? Sicher ist sicher.
Im Badezimmer fegte er seine Toilettenartikel vom Glasregal. Der Kulturbeutel bot nur Platz für die Tages- und Nachtcremes und sein Rasierzeug. Seine Bad- und
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