Vergiss mein nicht
eintreten konnte. Von der Hitze wurde sie fast erschlagen, denn im Haus schien es viel wärmer zu sein als draußen. Das erste Zimmer war sehr groß und hatte wahrscheinlich als Wohnzimmer gedient. Das war jedoch schwer zu sagen, denn sämtliche Möbel waren verschwunden. Sogar den Teppich hatte man vom Boden hochgerissen, und die Heftnägel, die seine Umrisse markierten, sahen aus wie Zahnstummel.
» Was zum…?«, fragte sich Lena und ging durchs Zimmer. Sie bemerkte, dass Jeffrey seine Waffe gezogen hatte und nach unten gerichtet hielt. Sie tat es ihm gleich und machte sich Vorwürfe, gar nicht auf die Idee gekommen zu sein, es könne sich hier noch jemand aufhalten. So erschüttert war sie gewesen, Laceys Mantel zu sehen und das Haus in diesem Zustand vorzufinden. Bei all dem Lärm, den sie draußen gemacht hatten, musste jeder, der sich hier aufhielt, mitbekommen haben, dass es Eindringlinge gab.
Jeffrey forderte sie mit einer Kopfbewegung auf, ihm in die Küche zu folgen, die sich im selben Zustand wie das Wohnzimmer befand. Sämtliche Schranktüren standen offen, die Regale waren leer geräumt. Lena ging durchs Esszimmer, einen Zusatzraum und ein kleines Büro: alle leer, alle ohne Teppiche.
Die Atmosphäre war bedrückend, und Lena dachte dieselben Gedanken, die Jeffrey wahrscheinlich auch gekommen waren, als er den gelben Regenmantel gefunden hatte. Lacey war hier gewesen. Sie war vielleicht immer noch hier. Möglicherweise auch nur noch ihre Leiche.
» Riechst du das?«, flüsterte Jeffrey.
Lena streckte die Nase in die Luft und roch frische Farbe, kombiniert mit etwas Beißendem. » Clorox«, flüsterte sie zurück. » Und noch etwas, das ich nicht zuordnen kann.«
» Diese Fotos von Mark, die du gemacht hast, als du ihn festgenommen hast«, sagte Jeffrey. » Da hatte er doch Farbe an der Kleidung, stimmt’s?«
Lena nickte, drehte sich um, blickte um die Ecke und entdeckte die Treppe. » Warst du schon oben?«, fragte sie in dem Moment, als über ihnen ein Klopfgeräusch zu hören war.
Sie hoben beide gleichzeitig die Waffe, und Lena zielte noch vor Jeffrey auf die Zimmerdecke. Sie schlich seitlich die Treppe hinauf und senkte die Waffe dabei nicht. Jede Stufe tastete sie mit dem Fuß ab und stellte fest, dass man auch hier den Teppich entfernt hatte. Jeder ihrer Muskeln war angespannt, und das Adrenalin schoss durch ihren Körper.
Oben blieb Lena kurz stehen und blickte in einen langen Korridor. Links von ihr befand sich eine Wand, in die ziemlich weit oben ein kleines Fenster eingelassen war, das sie bereits von draußen wahrgenommen hatte. Es stand einen Spalt breit offen, und Lena bemerkte ein paar Blätter sowie Dreck auf dem Fußboden. Schwarze Vorhänge, in deren untere Säume Gewichte eingenäht waren, hingen von einer Gardinenstange herunter. Die Farbe unter dem Fenster war an den Stellen beschädigt, wo die Gewichte gegenschlugen, und frische weiße Farbe verfärbte den Stoffrand. Lena wies Jeffrey mit Gesten darauf hin, weil sie vermutete, das Geräusch, das sie gehört hatten, könnte von dort stammen. Jeffrey zuckte nur die Achseln, als wolle er sagen, vielleicht ja, vielleicht aber auch nein.
Lena wollte den Korridor erkunden, aber Jeffrey ging voran und spähte durch die offenen Türen in jeden Raum. Sie folgte ihm und sah, dass ein Bad und zwei Schlafzimmer ähnlich ausgeräumt worden waren wie die Zimmer unten. Als Jeffrey am Ende des Korridors vor der einzigen geschlossenen Tür stehen blieb, dachte Lena beklommen an den Morgen und an Mark.
Die Waffe in beiden Händen, stand Jeffrey wie erstarrt vor der Tür. Lena dachte schon daran zu übernehmen, aber sein Gesichtsausdruck hielt sie davon ab. Graute ihm davor, was er finden könnte?
Er beugte sich zur Tür, als hätte er etwas gehört.
» Was?«, flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf, als bräuchte er einen Moment zum Nachdenken. Lena stand neben ihm und wartete schwitzend darauf, dass er sich endlich entschied.
Schließlich bedeutete er ihr mit einem Wink, zuerst hinter ihn zu treten und sich dann noch weiter zu entfernen. Er winkte sie immer weiter zurück, den gesamten Korridor entlang bis zur Treppe. Als sie auf der zweitletzten Stufe stand und schon den Hals verrenken musste, um nur um die Ecke schauen zu können, war er endlich zufrieden. Lena machte sich darauf gefasst, eingreifen zu müssen, als er den Fuß hob und die Tür eintrat. Sekundenbruchteile später flammte ein Lichtblitz auf, die Tür flog ihm
Weitere Kostenlose Bücher