Vergiss mein nicht
und ganz und gar nicht so, wie sie es vermutet hätte, wenn sie Teddy Patterson irgendwo in einer Bar begegnet wäre. Der Raum, in dem sie standen, war mit einem wuchtigen Kamin und einem Großbildfernseher ausgestattet. An der einen Seite schloss sich die Küche an, auf der anderen Seite führte ein Gang in den restlichen Teil des Trailers. Blumenduft hing in der Luft und stammte wahrscheinlich von einem dieser Lufterfrischer, die man in die Steckdose steckt. Das Wohnzimmer hatte einen femininen Touch: die Wände in zartem Rosa, die Couch und zwei Stühle hellblau mit einem passenden rosa Streifen. Über die Couch war ein Quilt gebreitet, dessen Muster zum Rest passte. Auf dem Couchtisch stand eine Vase mit frischen Schnittblumen inmitten von Frauenzeitschriften. An den Wänden hingen hübsche, gerahmte Drucke, und die Möbel sahen alle neu aus. Der Teppich war erst kürzlich gesaugt worden. Lena sah genau, wo Patterson auf dem Velours seine Fußabdrücke hinterlassen hatte.
» Wir wollen uns nur mit Mark über gestern Abend unterhalten«, sagte Jeffrey zu Patterson, während Lena sich weiterhin umsah. Sie drehte sich um und stutzte, als sie ein Bild von Jesus über dem Kamin entdeckte. Seine durchbohrten und blutenden Hände hielt er einladend geöffnet in der klassischen » Kommet zu mir«-Pose. Jeffrey fiel das Bild ebenfalls auf, denn er schaute ihr ins Gesicht, als Lena sich gezwungen hatte, wieder wegzusehen. Er hob die Augenbrauen, als wenn er fragen wollte, ob mit ihr alles in Ordnung sei. Auch wenn sie es nicht direkt sah, spürte Lena, dass Patterson ihren Blickkontakt durchaus registrierte. Natürlich hatte er gehört, was Lena zugestoßen war. Sie konnte sich ausmalen, welches Vergnügen Patterson wohl dabei empfand, die Einzelheiten ihrer Vergewaltigung in Gedanken Revue passieren zu lassen. Die Macht, die er dadurch über sie zu haben schien, schnürte ihr die Luft ab, und sie zwang sich, dem Mann direkt in die Augen zu sehen. Er hielt ihrem Blick aber nur einen kurzen Moment stand und starrte dann plötzlich auf ihre Hände.
Sie wusste ganz genau, wonach er suchte, und kämpfte gegen das Bedürfnis, die Hände in den Taschen zu vergraben, als eine kleine, hohlwangige Frau ins Zimmer trat und fragte: » Teddy? Hast du meine Pillen besorgt?«
Sie hielt inne, als sie Jeffrey und Lena sah, fasste sich an den Hals und fragte: » Was ist denn hier los?«
» Polizei«, sagte Patterson und senkte rasch den Blick. Ein Anflug von Schuldbewusstsein flackerte in seinen Augen auf, als könne seine Frau erraten, was er gerade noch über Lena gedacht hatte.
» Als wenn ich das nicht wüsste«, erwiderte sie sarkastisch.
Sie war eine zierliche Person, kaum größer als Lena. Ihr dunkelblondes Haar war dünn, stellenweise schimmerte die Kopfhaut durch. Sie sah fast ausgezehrt aus und erinnerte Lena an Fotos von Holocaust-Überlebenden. Doch gleichzeitig wirkte sie stark, und Lena nahm an, dass sie den Trailer so aufgeräumt und sauber hielt. Hinter ihrem kränklichen Aussehen steckte die Tatkraft einer Person, die wusste, wie man die Dinge anpackte.
» Ich wusste, dass Sie kommen würden«, sagte die Frau. » Ich sollte also nicht überrascht sein.« Ihre Hand blieb am Hals, wo sie nervös an einem Amulett an ihrer Halskette fingerte. Wegen des Jesus an der Wand vermutete Lena, dass es sich um ein Kruzifix handelte.
» Mrs Patterson?«, fragte Jeffrey.
» Grace«, stellte sie sich vor und streckte die Hand aus. Jeffrey schüttelte sie, und Lena nutzte die Gelegenheit, Teddy Patterson genauer zu mustern. Er beobachtete seine Frau und Jeffrey mit unbeteiligter Miene. Seit sie im Zimmer war, ließ er die Schultern leicht hängen und wirkte weniger bedrohlich.
» Wir möchten mit Mark sprechen«, sagte Jeffrey zu der Frau. » Ist er da?«
Grace Patterson bedachte ihren Mann mit einem besorgten Blick.
Patterson sagte zu seiner Frau: » Warum setzt du dich nicht, Liebes?« Und dann fügte er hinzu, als müsse er es Jeffrey erläutern: » Sie ist seit einiger Zeit krank.«
» Tut mir leid, das zu hören«, sagte Jeffrey. Er setzte sich neben Grace auf die Couch und deutete Lena mit einem Nicken an, sie möge sich auch setzen. Sie zögerte, nahm dann aber auf einem der Stühle Platz.
Das Licht, das zum Fenster hereinschien, fiel genau auf Grace Patterson, und Lena bemerkte, wie bleich sie war. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ihre Lippen waren unnatürlich rosablau verfärbt. Lena durchzuckte der
Weitere Kostenlose Bücher