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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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verstand sie, was es hieß, in jemandem lesen zu können wie in einem Buch. Sie sah eine Qual in seinem Blick, die bei Jeffrey Tolliver zu sehen sie niemals erwartet hatte.
    » Sag mir die Wahrheit«, bat er flehentlich. » Du warst doch dabei. Du hast doch alles gesehen.«
    » Das habe ich«, stimmte sie zu, verblüfft darüber, wie sehr er ihre Bestätigung brauchte.
    » Sag es mir«, bat er, und diesmal war es fast schon ein unverhohlenes Betteln. Irgendwie erregte Lena diese Verzweiflung. Jeffrey brauchte etwas von ihr. Jeffrey Tolliver, der sie nackt gesehen hatte, an den Fußboden genagelt, aus tausend Wunden blutend, dieser Jeffrey brauchte etwas von ihr.
    Sie wartete ab, genoss das Gefühl der Macht. » Ja«, sagte sie schließlich, wenn auch mit wenig Überzeugungskraft.
    Er starrte sie an, und sie sah den Zweifel in seinem Blick. Einen Moment lang fürchtete sie, es würde ihn zerreißen.
    » Du musstest schießen.« Er starrte sie weiter an, als könne er in sie hineinsehen. Lena wusste, dass sie nicht überzeugt geklungen hatte und dass ihm genau das aufgefallen war. Sie wusste auch, dass sie nicht deutlich gemacht hatte, dass sie seine Einschätzung der Situation teilte. Sie hatte absichtlich so unklar reagiert. Lena hatte nicht die geringste Ahnung, warum sie das tat, aber der Nervenkitzel hielt auch noch an, nachdem Jeffrey längst den Gang eingelegt hatte und sie wieder fuhren.
    Grant County bestand aus drei Städten: Heartsdale, Madison und Avondale.
    Wie Avondale war auch Madison ärmer als Heartsdale, und es gab hier jede Menge Wohnwagenparks, weil sie billige Behausungen boten. Dies bedeutete aber nicht notwendigerweise, dass die Leute, die in Wohnwagen lebten, auch arm waren. Es gab einige gehobene Parks mit Gemeinschaftszentren, Swimmingpools und Nachbarschaftswachdienst. Aber es gab auch welche, die Brutstätten von häuslicher Gewalt und Raufereien unter Alkoholeinfluss waren. Der Kudzu-Arms-Wohnwagenpark fiel unter die zweite Kategorie und verdiente kaum die Bezeichnung menschliche Ansiedlung. Wohnwagen in den verschiedensten Stadien des Verfalls standen zu beiden Seiten einer unbefestigten Straße. Einige Bewohner hatten vergeblich versucht, kleine Gärten anzulegen. Sogar ohne Dürre, derentwegen in ganz Georgia das Wasser rationiert worden war, hätte die Hitze sämtliche Blumen zur Strecke gebracht. Sie war schlimm genug, um sogar Menschen umzubringen. Die Pflanzen hatten nicht die geringste Chance.
    » Deprimierend«, bemerkte Jeffrey, der mit den Fingern auf das Lenkrad trommelte. Diese nervöse Angewohnheit hatte sie noch nie bei ihm erlebt, und Lena fühlte, wie die Schuldgefühle zurückkehrten und sie wie ein starker Sog in die falsche Richtung zerrten. Sie hätte eindeutiger sein sollen, was den tödlichen Schuss betraf. Sie hätte Jeffrey direkt in die Augen sehen und ihm die ungeschminkte Wahrheit sagen sollen: dass ihm gar nichts anderes übrig geblieben war, als das Mädchen zu erschießen. Aber Lena hatte keine Ahnung, wie sie das wiedergutmachen konnte. Keine tausend glasklaren Jas würden jemals den Eindruck auslöschen können, den sie mit ihrer zögerlichen und nicht ganz eindeutigen Aussage gemacht hatte. Was war bloß in sie gefahren?
    Jeffrey fragte: » Wie ist die Adresse?«
    Lena schlug die Akte auf und las nochmals die Adresse. » Drei-zehn«, sagte sie und blickte auf die Wohnwagen. » Diese hier haben gerade Hausnummern.«
    Er blickte auf die andere Straßenseite des Parks. » Da drüben ist es.«
    Lena drehte sich um, als Jeffrey rückwärts aus dem Park fuhr. Ein riesiges, vermutlich extrabreites Mobile Home stand auf der anderen Straßenseite. Anders als die Wohnwagen gegenüber sah dieser Trailer schon eher wie ein Haus aus. Ansätze von Gartengestaltung waren vor dem Wohnwagen zu erahnen, und Schlackesteine verkleideten die Basis. Jemand hatte die Steine schwarz bemalt, als Kontrast zum weißen Trailer, und eine große überdachte Plattform diente als Veranda. An der Seite befand sich ein Carport, und daneben stand ein großer Sattelschlepper.
    » Er ist Fernfahrer?«, fragte Jeffrey.
    Lena fand die richtige Stelle auf dem Formular. » Transportunternehmer«, informierte sie ihn. » Fährt wahrscheinlich seinen eigenen Diesel.«
    » Sieht so aus, als würde er damit auch Geld verdienen.«
    » Ich glaube, das geht durchaus, wenn man seinen eigenen Truck hat«, sagte Lena, die noch immer Mark Pattersons Akte überflog. » Moment, warte mal«, sagte Lena. »

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