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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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aber das Licht war sehr gedimmt, und dadurch wurde die Atmosphäre für Lenas Geschmack etwas zu intim. Die Musikbox spielte einen langsamen Titel, und eine Spiegelkugel drehte sich gemächlich über dem, was wohl eine Tanzfläche sein sollte. Lena hatte sich immer mit dieser Seite Sibyls schwergetan und nie verstanden, warum jemand, der so hübsch war, so offen und voller Elan, sich für diese Lebensweise entscheiden konnte. Sibyl hatte Kinder gewollt und sich immer gewünscht, umsorgt und geliebt zu werden. Lena wäre von allein nicht im Traum darauf gekommen.
    Als Sibyl sich vor fünfzehn Jahren gegenüber Lena geoutet hatte, konnte Lena nur entgeistert ausrufen: » Das kann nicht sein!« Und noch nachdem Sibyl zu Nan gezogen war, hatte Lena es immer noch nicht wahrhaben wollen, dass Sibyl lesbisch war. Es klang vielleicht abgedroschen, aber im Hinterkopf hatte Lena immer noch die Vorstellung gehabt, dass es sich nur um eine Phase handelte und Sibyl eines Tages über ihre Verirrung lachen, heiraten und Kinder haben würde. Dass sie Sibyls Zwillingsschwester war, machte die Sache noch komplizierter, denn Lena hatte immer das Gefühl gehabt, ein Stück von ihr lebe auch in Sibyl und ein Stück von Sibyl in ihr. Es war für Lena ein beunruhigender Gedanke, dass Sibyls sexuelle Neigungen vielleicht auch irgendwo tief in ihr schlummerten.
    Lena verscheuchte diese Gedanken, als sie den Raum durchquerte. Zwei Frauen an einem Ecktisch schenkten ihr nicht die geringste Beachtung. Sie waren zu erpicht darauf, einander die Zungen so tief wie möglich in den Hals zu stecken, als sich darum zu kümmern, wer zur Tür hereinkam. Die Barfrau las Zeitung, als Lena näher kam, und die Verwirrung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
    Sie sagte: » Sie müssen ihre Schwester sein.«
    Lena setzte sich ein Stück entfernt von ihr auf einen Hocker. » Ich bin hier verabredet.«
    Die Frau faltete die Zeitung zusammen. Sie kam auf Lena zu. » Ich bin Judy«, sagte sie.
    Lena starrte lang auf die Hand und schüttelte sie schließlich widerstrebend. Die Frau war hochgewachsen, hatte langes dunkles Haar und ein herzförmiges Gesicht. Ihre Augen waren von einem intensiven Haselnussbraun, was Lena schon deswegen bemerkte, weil die Barfrau sie weiter forschend ansah.
    » Bier, bitte«, sagte Lena und korrigierte sich gleich: » Oder geben Sie mir lieber einen Jim Beam.«
    Judy blieb kurz stehen und ging dann zu den aufgereihten Flaschen hinter der Bar. » Sibyl hat nie getrunken«, sagte sie, als hieße das, Lena, ihre Zwillingsschwester, würde auch keinen Alkohol trinken.
    Lena gab zu bedenken: » Sie hat auch nicht mit Männern gefickt.«
    Judy beugte sich diesem Argument. » Also Jim Beam?«
    » Ja«, antwortete Lena, die sich bemühte, gelangweilt zu klingen, als sie Geld aus ihrer Hosentasche fischte. Bevor sie hergekommen war, hatte sie zu Hause Jeans und ein T-Shirt angezogen, eine Entscheidung, die sie jetzt bereute. Wahrscheinlich sah sie jetzt lesbischer aus als die Frauen in der Ecke.
    Judy sagte: » Sie hat gern Preiselbeersaft getrunken.«
    » Würden Sie bitte einen Doppelten draus machen?«, bat Lena und legte einen Zwanziger auf den Tresen.
    Judy warf ihr einen Blick zu, bevor sie die Bestellung ausführte. » Uns allen fehlt sie sehr.«
    » Kann ich mir vorstellen«, erwiderte Lena und merkte, wie unbeteiligt ihre Reaktion klang. Sie starrte in die dunkle Flüssigkeit vor sich im Glas und erinnerte sich daran, dass sie zum letzten Mal an jenem Abend getrunken hatte, als Sibyl ums Leben gekommen war. Lena mochte keinen Alkohol, weil sie das Gefühl hasste, die Kontrolle zu verlieren. Nicht, dass sie in letzter Zeit irgendetwas unter Kontrolle gehabt hätte.
    Lena sah auf die Uhr über der Bar. Sie zeigte fünf nach acht.
    Judy fragte: » Mit wem treffen Sie sich denn hier?«
    Lena kippte den Whiskey in einem Schluck hinunter. » Jim Beam«, sagte sie und klopfte auffordernd ans Glas.
    Judy schaute sie wieder schräg an, nahm dann aber die Flasche vom Regal.
    Um jede Unterhaltung abzublocken, drehte Lena sich auf dem Barhocker in Richtung Tanzfläche um. Eine Frau stand dort, allein, und wiegte sich im Takt. Etwas an ihr kam Lena vertraut vor, aber die Beleuchtung war schlecht, und Lenas Gedächtnis versagte den Dienst. Doch sie sah weiter zu und sann darüber nach, wie man so selbstvergessen tanzen konnte, als befände sich niemand sonst im Raum. Und als sei auch nichts anderes von Bedeutung.
    Neue Musik begann, und noch bevor

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