Vergiss mein nicht!
mal mehr. Ich setze mich wieder hin, schaue ihn an und versuche zu begreifen, was er denkt. »Ich möchte dich wegen dieser Sache nicht verlieren«, sage ich. »Ich habe nicht ...«
Er presst seine Lippen auf meine, unterbricht meinen Satz, unterbricht meinen Atem. Er nimmt mein Gesicht in die Hände und lässt seinen Mund langsam über meinen gleiten. Jedes einzelne Nervenende in meinem Körper steht unter Strom.
Er lässt mich los und sieht mir tief in die Augen. »Du hast mich nicht verloren«, sagt er, bevor er mich wieder an sich zieht. Gerade, als ich beschließe, dass ich ihn den ganzen Tag lang küssen könnte, fragt er: »Addison?«
»Ja?«
»Was ist, wenn du das hier nur auslotest?«
Ich erstarre. »Wie bitte?«
»Hast du dir noch nie Gedanken darüber gemacht? Was, wenn dieser Moment gar nicht passiert? Was, wenn du nur eine Vision hast, was sein könnte?«
»Darüber denke ich die ganze Zeit nach.« Ich streiche mit meiner Hand über seine Brust. Es fühlt sich so echt an.
»Was, wenn du dich nicht für diese Alternative entscheidest? Wenn du zu dem Schluss kommst, dass deine andere Zukunft die bessere ist?«
Ich umarme ihn und lege meine Wange an seine. »Weißt du, was komisch ist, Trevor?«
»Was?«
»Ich habe seit sechs Jahren diese Gabe und in all dieser Zeit hat mir noch nie jemand diese Frage gestellt. Niemand hat je daran gedacht, dass er nur zur Wahl stehen könnte.«
Er atmet tief ein. »Ich möchte, dass du dich für mich entscheidest, Addie«, flüstert er. »Ich möchte, dass das hier echt ist.«
»Mach dir keine Sorgen. Das ist es. Ich weiß immer, wann ich auslote.«
»Wie?«
»Weil ich beim Ausloten nicht gleichzeitig Alternativen ausloten kann.«
»Dann hast du also schon eine Alternative ausgelotet, seit wir uns kennengelernt haben?«
»Ja ...« Ich verstumme und versuche zurückzudenken. Mir all die Augenblicke ins Gedächtnis zu rufen, in denen ich eine Auslotung in Erwägung gezogen hatte. Erst heute hatte ich vorgehabt, eine Alternative für meinen Dad auszuloten. Aber tatsächlich bin ich nie dazu gekommen. »Ich ... nein. Aber ich kann es. Ich werde es tun. Genau jetzt.«
»Nein.« Er hält mich zurück, als ich gerade eine ganz simple Alternative formulieren will. »Tu’s nicht. Nicht, solange ich noch hier bin. Und bitte versprich mir etwas: Falls das hier doch eine Auslotung sein sollte und du dich nicht für mich entscheidest, nicht diesen Weg einschlägst – aus was für Gründen auch immer –, versprich mir, dass du mich nicht löschen lässt.«
Das ist ein sehr schwerwiegendes Versprechen, eins, das ich nicht so einfach geben kann. Denn selbst, wenn das hier eine Auslotung wäre und ich mir im Moment nicht vorstellen kann, mich nicht für ihn zu entscheiden, dann besteht immer noch die Möglichkeit, dass aus irgendeinem Grund etwas Entscheidendes passiert und ich nicht mit ihm zusammen sein kann. Dann wäre die Erinnerung an ihn und all das hier reine Folter.
Seine Augen sehen wieder dunkel aus, sein Blick wird dadurch noch intensiver.
»Ich verspreche es dir.«
Er zieht mich an sich, atmet mich ein und nichts trennt uns mehr.
33.
PARAlyse, die – Unfähigkeit, sich zu bewegen
D as Taubheitsgefühl beginnt auf der Kopfhaut und breitet sich langsam über meinen ganzen Körper aus. Ich möchte weinen, aber jedes Gefühl in mir ist wie ausgelöscht. Stattdessen empfinde ich nur ein überwältigendes Gefühl der Leere. Mein Handy klingelt und ein Hoffnungsschimmer blitzt in mir auf. Vielleicht ist es Laila, die anruft, um mir zu sagen, was los ist. Um mir zu erklären, warum sie gerade ganz selbstverständlich im Haus meines Freundes verschwunden ist, als würde das jeden Abend so gehen. Ich hebe mein Handy. Oben auf dem beleuchteten Bildschirm steht: Mom, Mobil ...
Ich nehme ab. »Hallo?«
»Addie, wo bist du?«
»Ich bin unterwegs ... lernen.« Zum ersten Mal fühle ich mich nicht schlecht dabei, sie anzulügen. Ich fühle sowieso kaum etwas.
»Warum belügst du mich?«
Offensichtlich bin ich immer noch nicht besonders gut darin. »Mach dir keine Sorgen. Ich komme nach Hause.«
»Ja. Auf der Stelle. Das ist kindisch. Ich habe keine Ahnung, was in letzter Zeit in dich gefahren ist. Du weißt doch, dass du noch Hausarrest hast, oder? Die Addie von früher hätte diese Regel akzeptiert.«
Die Addie von früher hat viele Dinge anders gemacht. Und viele Dinge aus einem anderen Blickwinkel gesehen. Oder vielleicht habe ich vieles auch gar nicht
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