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Vergossene Milch

Vergossene Milch

Titel: Vergossene Milch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chico Buarque
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Vater sieht, der zu dem blinden Pianisten blickt, und sie ordnet ihr Haar. Das ist fraglos eine entscheidende Szene, doch an dem Abend habe ich sie nicht beachtet, zumal Papa keine Vorliebe für Frauen mit braunem Haar hatte. Ich verließ den Raum, naschte etwas am Buffet, und jetzt lässt mich mein Kopf im Stich, wo war ich doch gerade? Ich glaube, ich habe den Faden verloren, helfen Sie mir weiter. Ach ja, ich war beim Abendessen bei meiner Mutter, und der Butler gab mir verzweifelte Zeichen. In der Anrichte stand ich dann vor einem Dutzend geöffneter Flaschen Burgunder, die nach Schimmel und faulen Früchten rochen, und daraus schloss ich, dass Papas Rotweine im Keller den Sommer von Rio de Janeiro nicht überlebt hatten. Ich ließ Bier aus dem Kühlschrank holen, denn meine Mutter hätte, obwohl sie keinen Alkohol trank, es nicht ertragen, zu einem Essen mit rotem Fleisch Weißwein auf dem Tisch zu sehen. Mama, Matilde und ich hatten bereits die Vorspeisen, den Salat, die Sülze genossen und waren gerade bei der Lammkeule, als Dubosc eintraf. Er brachte zwei halbwelke Rosen mit, eine weiße für meine Mutter und eine rote für Matilde, außerdem einen Pappteller mit gefüllten Teigtaschen, und Mama wies den Butler an, sie dem Personal zu geben. Untröstlich über seine Verspätung, bediente er sich an der Lammkeule und begann sofort von irgendwelchen
Xavante
-Indios zu sprechen, zu denen seine französischen Freunde Kontakt aufnehmen wollten. Matilde pfiff einmal kurz und fragte, ob diese
Xavantes
nicht Kopfjäger waren wie die, die sie im Kino Pathé gesehen hatte. Sie sprach in ihrem Schulfranzösisch, artikulierte jedes Wort so, als diktierte sie es, und Dubosc fand es amüsant. Er sagte, im Dienst der Compagnie habe er schon alles erlebt, sprach von Taifunen in Polynesien und einer Malaria, die er sich in Madagaskar zugezogen hatte. Er fragte, woher das Lamm stammte, ganz köstlich, und ohne die Antwort abzuwarten, stellte er eine afrikanische Note in der Würzung fest, wie in allem anderen hier in Brasilien. Meine Mutter erwiderte in energischem Französisch, die Sauce basiere auf Kräutern der Provence, in unserem Garten angebaut von Auguste, dem französischen Chauffeur. Und als er hörte, dass an Abenden mit Lammbraten ein Landsmann zum Küchenchef avancierte, zögerte Dubosc keinen Moment und verließ die Tafel, um ihm sein Kompliment auszusprechen. Seine Stimme hallte in der Küche, sein schallendes Lachen ging in einem krachenden Donner unter. Es blitzte, die Lampen im Haus flackerten, und Mama bewegte die Lippen, als betete sie in sich hinein. Ein Blitz schlug in der Nachbarschaft ein, und wie üblich bei Gewitter fiel der Strom aus. Im Haus wurde es still, bis auf das Pendel im Salon und die schließlich wahrnehmbare Stimme meiner Mutter. Wie ein Spanier, sagte Mama, dieser Mensch spricht Französisch wie ein Spanier, der Akzent des Ingenieurs hatte ihr nicht gefallen. Der Butler brachte einen Kandelaber mit acht Kerzen, Mama erhob sich, ich nahm den Leuchter und reichte ihr den Arm, aber sie lehnte die Hilfe ab und ging mir voraus. Ich leuchtete ihr den Weg durch die Salons, ihr Schatten brach sich auf den Treppenstufen, ich folgte ihr durch den Flur und geleitete sie in ihr Schlafzimmer. Als ich die Tür schloss, hatte ich keinen Leuchter mehr, ich blieb stehen und wartete auf einen Blitz, um mich zu orientieren. Ich tastete mich an der Wand entlang bis zur Treppe, und aus dem Vestibül kam Kerzenlicht und ein beharrliches Klopfen. Mit Schaudern dachte ich an meinen Vater, an das Klopfen des Spatels auf das Ebenholzetui, aber es war der Butler, der auf die Gabel des Wandtelefons schlug. Kein Amt, sagte er, und ich nahm seinen Leuchter, er zitterte leicht in meiner Hand. Die Flamme erlosch kurz vor der Haustür, die der Wind wohl aufgestoßen hatte. Ich gelangte blind ins Esszimmer und flüsterte, Matilde, Matilde, keine Ahnung, warum ich so leise sprach. Auch in der Anrichte wurde geflüstert, im Schein von Kerzen in Flaschenhälsen aß dort das Hauspersonal Teigtaschen und trank dazu verdorbenen Wein. Aus der Küche kam gedämpftes Lachen, und ich glaubte Matilde zu hören, wie sie auf Französisch flüsterte,
chas-seurs de têtes
, Kopf-jä-ger. Dann entdeckte ich sie vor dem Herd, in dem das Holz lichterloh brannte, sie saß neben dem alten Auguste auf dem Fußboden und teilte mit ihm einen Teller Gebäck. Ich sah mich um, und ohne gefragt worden zu sein, sagte Matilde, er sei gerade mit seinen

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