Vergossene Milch
französischen Freunden gegangen. Dann kam der Strom zurück, und es ertönte ein langes Oh, wie bei der Unterbrechung eines guten Films oder eines kollektiven Traums.
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Ich will nicht lügen , ich habe nach ihr noch andere Frauen gehabt, habe Frauen mit nach Hause genommen. Und wenn Balbina, das Kindermädchen, unseren Radau hörte, ist sie mit dir an den Strand gegangen, auch noch am Abend und manchmal im Regen. Ich habe mich durchaus woanders um Gesellschaft bemüht, bin sogar ins Bordell gegangen, aber nicht in Stimmung gekommen. Mädchen, die ich aus der Garçonnière kannte, haben mich auch bei sich zu Hause empfangen, und ich habe regelmäßig versagt. Aber mein Verlangen nach deiner Mutter blieb lebendig, die Erinnerung an sie überkam mich im Bett, im Badezimmer, auf der Treppe, die Küche mied ich sogar. Also versuchte ich, Frauen in den Bereich meiner Begierden zu holen, aber so einfach war das nicht. Prostituierte ins Ehebett zu legen, wagte ich nicht, und nicht alle der zur Verfügung stehenden Damen waren bereit, die Kleider deiner Mutter anzuziehen. Selbst die am wenigsten Gehemmten erwiesen sich, wenn sie als Matilde verkleidet im Zimmer umhergingen, als Schwindel, sie wirkten wie Diebinnen. Wenn eine es schließlich bei mir schaffte, schickte ich sie so schnell wie möglich in einem Taxi weg, weil ich die Illusion hatte, deine Mutter könnte überraschend wieder auftauchen. Da diese wenigen im Allgemeinen auf eine zweite Aufforderung nicht reagierten, wurde ich bald zu einer Art Eremit. Ich verkroch mich im Schlafzimmer, rauchte eine Zigarette nach der anderen, blätterte zum Trost in Illustrierten, die damals gerade groß in Mode kamen. Ich war in der Lage, auf jeder beliebigen Halbnahaufnahme von einer Frau deine Mutter zu erkennen, mal auf der Avenida Central schlendernd, mal an einem Strand im Nordosten liegend, mal in der Pampa reitend, und halb im Bett sitzend, befriedigte ich mich beim Betrachten dieser Bilder. Um etwas Abwechslung in mein Leben zu bringen, dachte ich sogar daran, samstags ein paar Freunde einzuladen, um mit ihnen einen Cognac zu trinken, über Sport zu reden, sie vielleicht zu einer Bridgepartie zu holen, so wie mein Vater es gemacht hatte. Aber da ich noch nicht einmal als Student Freundschaften geschlossen hatte, war es nun noch schwieriger, zumal ich in einem überhaupt nicht einladenden Haus lebte. Denn Tatsache ist, dass ohne deine Mutter das einst so herrschaftliche Haus verkam. Und ganz gleich, wie viele Hochhäuser rundherum gebaut wurden, ich sah immer nur Matildes Schatten auf dem Chalet. Dich habe ich gar nicht richtig groß werden sehen, du bist im Schatten des verschatteten Hauses aufgewachsen. In farbige französische, amerikanische Magazine vertieft, habe ich mich nicht mehr richtig um dich gekümmert, so wie in der ersten Zeit, gleich nachdem deine Mutter uns verlassen hatte. Damals bin ich morgens oft unruhig aufgewacht und habe dich geweckt, um zu sehen, wie viel von Matilde noch in deinem Gesicht war. Das war keine fixe Idee von mir, auch Balbina merkte, dass du jeden Tag wieder einen Zug von deiner Mutter ablegtest, und inzwischen hattest du schon die ursprüngliche Linie ihres Mundes ganz verloren, abgesehen von den schwarzen Augen und dem bräunlichen Teint. Als käme Matilde klammheimlich nachts vorbei, um ihre Sachen aus dem Gesicht der Tochter zu holen, statt der Kleider aus dem Schrank und der Ohrringe aus der Schublade. Selbst meine Mutter, die dich nicht groß beachtete, war erstaunt, wie sehr du dich verändertest. Die Kleine wird richtig hübsch, sagte Mama verkappt eitel, weil du ihr immer ähnlicher wurdest. Dennoch, trotz meiner Zuneigung zu dir ging ich aus Anstand nicht mit dir spazieren, dich bei mir zu haben kam mir unnatürlich vor. Vom Kindermädchen bis zum kleinen Portugiesen im Laden, alle wussten sie, dass deine Mutter Hals über Kopf weggelaufen war, ohne zu packen oder eine Nachricht zu hinterlassen. Aber ein zartes Kind, das noch gestillt wird, das man unter dem Arm tragen kann, so ein Kind zu verlassen, das wollte niemandem in den Kopf, das war unvorstellbar, ausgeschlossen. Auch auf einen Ehemann verzichtet eine Frau nicht so einfach, sie tauscht ihn gegen einen anderen aus, und mitunter sehr schnell, weil sie schon kurz davor ist, es sich anders zu überlegen. Ungefähr so, wie es ihr schwerfällt, sich von einem alten Kleid zu trennen, wenn sie ihre Garderobe erneuert. Damit eine Mutter ihr Kind verlässt, müsste schon ein
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