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Vergossene Milch

Vergossene Milch

Titel: Vergossene Milch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chico Buarque
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werde ihm das auf Französisch erzählen, damit alle ein dummes Gesicht machen und keiner mir widersprechen kann. Papa erlaubt nicht, dass jemand seinen Sohn anfasst, abgesehen von ihm selbst und Mama. Und wenn er mich mit dem Gürtel schlägt oder mit dem Handrücken, kann es bluten oder er schlägt mir einen Zahn aus, aber den Kopf eines Kindes fasst keiner an. Nur dass Sie es wissen, Papa hat eine Peitsche, die liegt in der Bibliothek hinter der Enzyklopädie Larousse. Einmal hat er sie mir gezeigt, den aus Antilopenleder geflochtenen Riemen, die Lilie auf dem Griff. Die Peitsche ist nicht mehr in Gebrauch, es ist eine Familienreliquie, die er von seinem Vater, meinem Großvater Eulálio, geerbt hat. Aber sowie er aus Europa zurück ist und hört, dass man seinen Sohn am Kopf geschlagen hat, wird er blindlings rundum Peitschenhiebe verteilen. Er wird Sie alle auspeitschen, ganz gleich, ob Mann oder Frau, er wird die siebenschwänzige Katze auf Sie loslassen, so wie mein Großvater auf den alten Balbino. Balbino war kein Sklave mehr, aber man erzählt sich, dass er sich jeden Tag auszog und den Stamm von einem Feigenbaum umarmte, weil er das Bedürfnis hatte, Hiebe auf den Rücken zu bekommen. Und Großvater schlug ordentlich zu, ohne böse Absicht, er peitschte ihn mehr wegen des Knalls als wegen der Qual. Hätte er ihm Striemen schlagen wollen, hätte er es wie sein Vater gemacht, wenn der einen entflohenen Schwarzen erwischte, peitschte er ihn grandios aus. Der Hieb knallte kaum, man hörte nur ein Pfeifen in der Luft, mein Urgroßvater Eulálio streifte die Haut des Übeltäters nur mit dem Riemenende, aber die Strieme blieb für immer. Den Trick hatte er von seinem Vater übernommen, der mit der Flotte des portugiesischen Königshofes aus Übersee gekommen war, und wenn er nicht gerade der verrückten Königin sein Ohr lieh, stieg er an Deck, um faulen Matrosen eine Lektion zu erteilen. Aber das hat sich mein Ururgroßvater vielleicht ausgedacht, um der Peitsche gerecht zu werden, die sein Vater, der berühmte General Assumpção, im Feldzug gegen Robespierres Frankreich aufseiten der Kastilier geschwungen hatte. Um die Geschichte abzukürzen, dieser General, mein Urururgroßvater, war der Sohn von Dom Eulálio, einem erfolgreichen Kaufmann aus der Stadt Porto, der die Peitsche in Florenz gekauft hatte, um damit Jesuiten zu züchtigen. Weshalb, wenn ich es recht überlege, Papa seine historische Peitsche nicht auf einem Haufen Rüpel ruinieren würde. Papa wird euch ganz einfach rauswerfen, und das wird für euch die schlimmste Strafe sein, denn so eine Stelle findet man nirgendwo sonst. Ich spreche nicht allein vom pünktlich gezahlten Lohn, auch nicht von der Unterkunft hinten, wo ihr euch betrinkt und masturbiert, von den Lebensmitteln, die ihr verschlingt, oder von dem freien Tag alle zwei Wochen und dem Weihnachtsgeld. Ich spreche auch davon, wie persönlich Mama euch behandelt, von den kleinen Diebereien, die sie euch nachsieht, den noch gut erhaltenen Kleidern, die sie euch schenkt. Sie besteht darauf, dass alle ordentlich gekleidet zur Messe gehen, und der Köchin, die an
Macumba
glaubte, hat sie in der Kathedrale Candelária den Teufel austreiben lassen. Alle seid ihr geimpft worden, nur mein Kindermädchen ist nicht vom Arzt untersucht, sie fand das unanständig. Aber mein Kindermädchen soll Papa bitte nicht wegschicken, das wäre schade, die dicke Schwarze wird kein anderes Kind mehr so gern haben wie mich. Und auch keinem anderen Jungen mehr erlauben, ihre dicken Brüste zu tätscheln, sie gibt einen Klaps auf die Hand, lässt mich aber fummeln. Es hat nichts genützt, dass Mama die deutsche Gouvernante eingestellt hat, als sie fand, ich sei für ein Kindermädchen schon zu groß. Das »Fräulein« war furchtbar etepetete, sie wollte mich zwingen, Deutsch zu sprechen und Gymnastik zu machen, kam aber nicht mit mir zurecht, sie hat einen Nervenzusammenbruch erlitten und ist nach Bayern zurückgereist. Außer dem Kindermädchen, glaube ich, werde ich Papa auch bitten, die Waschfrau zu verschonen, die immer lacht und schwatzt. Wenn ich den Korb voll mit frisch gewaschener Wäsche sehe, mache ich mir einen Spaß und pinkele drauf, und sie wäscht alles noch mal, ohne zu klagen, wenn sie wäscht, singt sie Polka und wackelt am Waschtrog mit den Hüften. Die Waschfrau war ein Indiomischling, die Mama vom Land mitgebracht hat, und heute vertraut Papa seine Leinenhemden keiner anderen mehr an, früher, zu

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