Vergossene Milch
Augen auf der Stelle feucht, sie hatte sich so sehr auf ihren ersten Ritt nach der Geburt der Tochter gefreut. Aber Matilde nimmt die Dinge nicht so schwer, und schon auf dem Weg zum Strand lachte und lachte sie und schaukelte die Kleine hin und her, die zum ersten Mal genau so einen Badeanzug wie sie anhatte. Sie hatte eingesehen, dass es unhöflich wäre, die Franzosen an einem unwirtlichen Strand allein zu lassen, zudem würden wir noch viele Wochenenden haben, um die Fazenda zu genießen. Tatsächlich hatten wir sie dann nicht, aber ich konnte ja nicht ahnen, dass Dubosc und seine Freunde Stammgäste im Chalet werden würden. Und schließlich haben wir uns mit ihrer Gesellschaft abgefunden, weil sie sich bei der Rückkehr vom Strand zwar nie die Füße waschen, uns sonst aber keine Umstände machen. Arbeit machen sie nur der Köchin, die muss das Mittagessen verlängern und uns unter dem Sonnenschirm jede Stunde mit
Batida de Limão
versorgen. Matilde spielt also ungestört mit der Kleinen und dem Kindermädchen, während ich die Franzosen mit Lobpreisungen des Panoramas von Rio de Janeiro unterhalte, sie auf phönizische Inschriften in den Bergen hinweise und auf hermaphroditische Vögel, die auf den Inseln im Atlantik leben. Ich spreche auch von den französischen Invasionen, vom Traum vom Antarktischen Frankreich, ich denke mir sogar einen bretonischen Vorfahren aus, als rechte Hand des Admirals Villegaignon. Aber der Arzt fällt mir immer ins Wort und erzählt von seinen Unternehmungen in Gegenden, die nur er kennt, irgendwo im Urwald, in den die Ausländer so gern eindringen. Und dann redet er über Sumpffieber, Bilharziose, Chagas-Krankheit, Lepra und zwischen der einen und anderen Epidemie ertappe ich mich dabei, dass ich die Festung von Copacabana betrachte und darauf hoffe, dass hinter dem Felsen ein Überseedampfer auftaucht. Gegen Mittag geht Matilde mit Eulalinha nach Hause, gibt ihr die Brust und wiegt sie mit dem Lied vom Riesen-der-das-Baby-holt in den Schlaf. Sie kommt zurück, setzt sich neben mich, fordert mich auf, den Kopf in ihren Schoß zu legen, und sagt, mach den Mund auf und die Augen zu. Sie streut mir Sand in den Mund und rennt wie der Blitz davon, damit ich ihr bis ins Wasser hinterherlaufe, dann soll ich mit ihr Sandkrabben sammeln oder Federball spielen. Ich kann mir vorstellen, dass die Franzosen von einem Mann meiner Position erwarten, dass er eine zurückhaltendere Frau hat, mit gewissen intellektuellen Gaben. Aber Matilde nimmt an unseren Gesprächen kaum teil, und sie bringt Eulalinha mittags immer noch mit an den Esstisch, was mir peinlich ist. Es kann auch sein, dass sie durch mein Lachen gehemmt ist, wenn sie anfängt, Französisch zu sprechen, was nicht oft geschieht. Ich beeile mich immer, ihre Aussprache zu korrigieren, entschuldige mich für ihre Grammatikfehler, und dann bricht sie nicht selten mitten im Satz ab. Ich weiß, dass sie gut zurechtkommt, wenn ich nicht in der Nähe bin, sonst hätte sie das erste Jahr in der Schule nicht geschafft. Und sie könnte sich auch nicht mit der Frau des Arztes verständigen, die jetzt auch an Wochentagen zum Strand kommt und von Erlebnissen auf Reisen mit ihrem Mann durch Lateinamerika berichtet. Dadurch hat Matilde sich angewöhnt, mir Geschichten von mexikanischen Bauern zu erzählen oder von Indios, die nackt durch den Schnee von Patagonien laufen, während ich mich im Bett nach ihr verzehre. Noch im Nachthemd zwingt sie mich, Sagen der Andenvölker zu hören, sie ist von deren Fruchtbarkeitsritualen entzückt. Ich denke, wenn sie sich sogar für einen Bürgerkrieg in Nicaragua interessieren kann, den das Ehepaar im vergangenen Jahr miterlebt hat, würde sie nur so staunen über die Berichte von Dubosc, der als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg gekämpft hat. Einmal hat er mir erzählt, dass er
Lieutenant
der französischen Armee war, auch erwähnte er eine Schussverwundung auf dem Schlachtfeld in der Picardie, aber dann hat er sich nicht weiter darüber ausgelassen. Wahrscheinlich geniert er sich wegen einer Narbe und zieht deshalb am Strand das Hemd nie aus, ich habe ihn nie ins Wasser gehen sehen. Vielleicht ist er seinen Freunden und meiner Frau gegenüber gesprächig, vielleicht zeigt er ihnen die Medaille, die er angeblich im Krieg erhalten hat, aber davon hat Matilde nie ein Wort gesagt. Ohne die Sekretärin der Compagnie hätte ich gar nicht erfahren, dass nicht nur die Frau des Arztes, sondern auch Dubosc zu
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