Vergossene Milch
überraschenden Zeiten zu uns nach Hause kam. Als ich einmal einen ganzen Tag beim Zoll über die Freigabe von Kanonenrohren verhandelt hatte und danach im Büro vorbeischaute, hörte ich sie scherzhaft sagen, Dubosc habe sich schon an den Lebensstil von Rio gewöhnt und den Freitag geschwänzt, um an den Strand zu gehen. Am Abend sprach Matilde es nicht an, sie schwärmte nur von der Kleinen, ihr Hals werde kräftiger, sie zeigte mir, wie sie schon ihr Köpfchen anheben konnte. Ich blickte auf den Sand in den Parkettfugen, und als ich nach Dubosc fragte, bestätigte Matilde, dass er sich bei uns umgezogen hatte, sie hatte ihn aber kaum gesehen. Er war nicht zum ersten Mal da gewesen, ab und zu ließ sich auch der Arzt sehen, ihr zufolge tun sich die Franzosen immer zusammen, trinken und lachen und schwatzen miteinander, bleiben aber nicht zum Mittagessen. Ich wunderte mich, dass Dubosc mir diese Besuche unterschlug, aber damit war erklärt, warum er kürzlich bei einem Termin im Kriegsministerium gefehlt hatte. Bestimmt hatte er am Strand gepichelt, während ich auf die Audienz beim Minister wartete, bis ich endlich am frühen Abend von seinem Assistenten empfangen wurde. Offen gesagt, brauchte ich den Franzosen nicht, um eine Artillerieübung mit Vorführung der neuen Schneider-Kanonenrohre anzusetzen, die sich der Minister endlich selbst ansehen würde. Dubosc glaubte an solche Versprechungen schon nicht mehr, trotzdem sagte er zu, sich mit mir in Marambaia zu treffen, denn der Arzt und seine Frau, die gern die Landzunge sehen wollten, würden ihn im Auto mitnehmen. Ich hätte vorschlagen sollen, dass wir alle zusammen in meinem Auto fahren, denn nach dem Strand von Gávea führt die Straße bergauf in dichten Buschwald, der sich als tückisch erweisen kann. Schmal und kurvenreich, dazu noch schlecht ausgeschildert, selbst wer sie schon mehrmals gefahren ist, so wie ich, zögert an jeder Abzweigung. Eben gerade, nachdem ich um den Berg herum und auf die Höhe des Meeresspiegels hinuntergefahren bin, fand ich mich vor einem neuerlichen Anstieg, der mir nicht in Erinnerung war. Gut möglich, dass ich mich verfahren hatte, denn ich war seit der Abfahrt etwas abgelenkt. Schon als ich aus dem Haus ging, hatte ich Matilde im Kopf und grübelte darüber, ob sie mir etwas verheimlicht. Sie wollte mir weismachen, dass Dubosc in meiner Abwesenheit das Chalet einfach nur benutzt, als wäre es eine öffentliche Badekabine in einem französischen Badeort. Sie wollte mir einreden, dass sie beim Kommen und Gehen im Haus niemals aufeinandertreffen, dass sich ihre Blicke beim Sonnenbaden niemals begegnen. Wenn sie am Strand neben ihm liegt, halte ich für ausgeschlossen, dass sie nicht neugierig auf einen Mann ist, der so viel erlebt hat, nicht wissen möchte, wie viele Kontinente er bereist hat, wie viele Sprachen er spricht, in wie vielen Schlachten er gekämpft hat oder auch, warum er sein braunes Hemd niemals ablegt. Nein, Matilde würde nicht widerstehen können und ein Gespräch anfangen, schon bald würde sie ihn nach seinem Leben in Frankreich ausfragen, ob er verheiratet ist, ob seine Frau jung und hübsch ist, wie viele Kinder sie haben. Kann sein, dass Dubosc eine Tochter in Matildes Alter hat, und für ihn muss Matilde ein Mädchen ohne jedes Geheimnis sein. Eine Einheimische, nicht viel anders als die Eingeborenen, die er in Polynesien kennengelernt hatte, mit dem einzigen Vorteil, dass sie Maxixe tanzen kann. Dennoch glaube ich nicht, dass er beim Anblick der auf dem Bauch im Sand liegenden Matilde niemals an die Möglichkeit von gelegentlichen heimlichen Rendezvous in seinem Hotelzimmer gedacht hat, nachdem er monatelang in ordinären Bordellen verschlissene Frauen bezahlt hat. Und auf einmal war mir klar, dass die Franzosen mich zum Narren gehalten haben, sie hatten niemals vorgehabt, sich auf eigene Faust auf diese steile Straße voller Schlaglöcher zu begeben, auf der ich mich nun verfuhr. Bei dieser Hitze, die sie als senegalesisch bezeichnen, vergnügten sie sich längst im Schatten von Matildes Sonnenschirm mit der Kleinen und dem Kindermädchen. Aber Matilde ist nicht so für Schatten zu haben, alle naslang springt sie ins Wasser, und irgendwann geht sie immer mit einem Eimer los, um Muscheln für ihre Tochter zu sammeln. Dann ist denkbar, dass Dubosc unter dem Vorwand, sich die Zeit zu vertreiben, sie einholt und mit ihr am Wasser entlanggeht. Hier und da bleiben sie stehen, um eine Muschel aufzuheben, sie
Weitere Kostenlose Bücher