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Vergraben

Vergraben

Titel: Vergraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Cross
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falsch singen hören. Er konnte den Jahreswechsel auch im Fernsehen verfolgen: Er hörte einen Promi den Countdown bis zum neuen Jahr zählen, und das war gut. Es brachte ein weiteres Jahr zwischen ihn und die Sache.
    Der Januar begann mit einem Kälteeinbruch. Der Wind blies ungehindert von den russischen Steppen herein. England versank im Chaos, wie immer angesichts eines Wetters, das auch nur geringfügig an Winter erinnerte.
    Also musste er auch den Januar abwarten, denn niemand ging auf Wohnungssuche, solange der Frost am Boden festgefroren war und die Erde hart wie Holz machte und den Beton spröde wie einen Küstenfelsen. Niemand in England jedenfalls.
    Erst im Februar begann er, eine Liste der örtlichen Immobilienmakler zusammenzustellen.
    Er rief in der Mittagspause von der Arbeit aus an. Wenn der Anruf verfolgt würde, konnte er einfach sagen, dass er eine Wohnung suchte. Für den Fall, dass das je überprüft werden sollte (er erinnerte sich an Kommissar Holloways gemütliche Hinterlistigkeit), ging er zum Kreditberater seiner Bank, der prinzipiell sofort einem Darlehen zustimmte.
    Es gab viel mehr Immobilienmakler in der Gegend, als Nathan vermutet hatte. Eine einzige große Anzeige in den Gelben Seiten konnte ein halbes Dutzend örtliche Niederlassungen abdecken. Deswegen, und weil er nicht immer eine Mittagspause hatte, dauerte es fast drei Wochen, bis er im Immobilienbüro Morris Michael anrief und fragte: »Hallo, kann ich bitte mit Holly Fox sprechen?«
    Er hatte diesen Satz inzwischen so oft wiederholt, dass irgendwann seine Bedeutung verloren gegangen war. Deshalb folgte auf die Antwort –
    »Tut mir leid, sie ist gerade bei einer Besichtigung, kann ich ihr etwas ausrichten?«
    – eine lange Stille, während der sich Nathans Verkäuferkehle zuschnürte und ihn im Stich ließ. Er knallte den Hörer auf die Gabel und eilte zur Toilette.
    Er nestelte an seinem Gürtel herum und bekam einen ausgiebigen Durchfall. Dann ging er auf den Parkplatz hinter dem Büro, setzte sich ins Auto und drehte die Musik laut auf. Er rauchte sieben Zigaretten.
    Er sah, wie Motorradkuriere Pakete auslieferten und Kollegen zum Rauchen herauskamen (der Raucherbereich war eine triste, schmutzige Betonecke, die so wenig einladend wie möglich gestaltet war und doch niemanden abschreckte). Er drehte die Musik leiser. Wenig überzeugend tat er so, als spräche er in ein Handy.
    Als er wieder in seinem kleinen, gläsernen Büro saß, schrieb er die Nummer des Immobilienbüros auf einen Post-it-Zettel und legte die Gelben Seiten zurück an Angelas Platz.
    Er brauchte mehr als eine Woche, bis er die Nummer wieder wählen konnte. Aber er dachte kaum noch an etwas anderes. Die Idee hatte sich in einem Winkel seines Gehirns festgebissen wie bei einer heftigen Jugendschwärmerei. Bei allem, was er tat, übte er hauptsächlich imaginäre Gespräche mit Holly Fox.
    Als er zum zweiten Mal anrief, bat ihn die Stimme in der Leitung zu bleiben. Der Hörer wurde mit einem kräftigen Poltern niedergelegt. Nathan war nicht in einer Warteschleife gelandet und er konnte im Hintergrund hören, wie eine viel beschäftigte Person sich dem Telefon näherte: gedämpfte Gesprächsfetzen, andere unidentifizierbare Geräusche, das Poltern des Telefons, als es vom Tisch aufgehoben wurde, eine Hand über der Muschel.
    Leise: »Ja, mach ich. Gleich.«
    Dann:
    »Hallo, Holly am Apparat.«
    Nathan stand auf, als sei jemand in sein Büro gekommen, und sagte: »Hallo?«
    »Hier spricht Holly. Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich suche eine Wohnung.«
    »O-kay.«
    Er glaubte am Klang ihrer Stimme zu erkennen, dass sie ihren Schreibtisch nach einem Stift absuchte.
    Er nannte ihr seine Preisvorstellung. Sie fragte, was er suche.
    Er antwortete: »Was Schönes.«
    »Okay. Das ist schon mal ein Anfang. Eine Wohnung oder ein Haus?«
    »Kann ich mir bei meinem Budget ein schönes Haus leisten?«
    »Da werden Sie staunen. Sie müssen nur in der richtigen Gegend suchen.«
    »Gut. Ein Haus wäre toll. Auf jeden Fall. Ja. Ein Haus.«
    »Zimmer?«
    »Ja, bitte.«
    »Schon klar. Wie viele?«
    »Oh, ich verstehe. Tut mir leid. Ich weiß nicht. Drei?«
    »Drei Zimmer. Würden Sie auch ein Haus mit vier Zimmern nehmen, wenn es in Ihre Preislage fällt?«
    »Vielleicht. Sollte ich?«
    »Die meisten viktorianischen Häuser haben vier Zimmer, müssen Sie wissen.«
    »Gut. Verstehe. Okay. Dann ja.«
    »Eines davon ist meist ziemlich klein. Viele Leute richten es sich als

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