Vergraben
der Arbeit gab, rief ihn nie jemand zu Hause an – und wenn es eine Krise bei der Arbeit gegeben hätte, hätte er das längst gewusst.
An jenem Morgen hatte es stark geregnet, aber vor einer halben Stunde war die Sonne herausgekommen, um die Pfützen auf dem leeren Spielplatz der Kindertagesstätte in Quecksilber zu verwandeln. Er telefonierte vom Bett aus und schaute dabei aus dem Fenster. Er trug Boxershorts und Socken und ein zerknittertes weißes T-Shirt, in dem er auch geschlafen hatte.
»Hallo?«
»Spreche ich mit Nathan?«
»Ja.«
»Hier ist Holly, vom Maklerbüro Morris Michael.«
»Ich habe Sie an der Stimme erkannt.«
Eine Pause folgte – vielleicht hatte seine plötzliche Vertraulichkeit sie überrascht. Er hatte den Eindruck, dass ein Anflug von Freude in ihrem Schweigen mitschwang, aber er war sich nicht sicher. Vielleicht sah sie gerade auch einfach nur ihre Notizen durch, um sich in Erinnerung zu rufen, mit wem sie sprach. Oder vielleicht hatte ein Kollege ihr einen Post-it-Zettel mit einer wichtigen Telefonnummer gereicht.
Sie trafen sich bei einem weiteren von Mr. Hinsliffes Häusern. Nathan parkte direkt davor; der aufgeschlagene, völlig verknickte Stadtplan lag noch auf seinem Schoß. Holly wartete drinnen auf ihn. Als er anhielt, sah er ihr Gesicht im Fenster. Sie zog sich sofort zurück, und er begann zu zweifeln, ob er sie wirklich gesehen hatte.
Aber sie erwartete ihn in einem blaugrauen Trenchcoat, Schal und hohen Lederstiefeln an der Tür. Das Haus roch noch nach Holzleim.
Ich ziehe das jetzt durch, dachte er und schloss leise die Tür hinter sich.
Sie standen im leeren Wohnzimmer. »Es ist sehr schön hell«, bemerkte er.
»Es geht nach Süden.«
»Es gefällt mir.«
Er ging in die Küche. Sie ähnelte enorm den vorherigen.
»Aber diese Küchen überzeugen mich immer noch nicht.«
Sie ging in die Hocke, machte probehalber den Schrank unter der Spüle auf und sagte: »So sind Küchen, die Bauunternehmen einbauen. Sie kaufen sie billig ein, mit Mengenrabatt.«
Es freute ihn, dass sie ihm offensichtlich vertraute.
»Ich hoffe, die miesen Küchen werden dann auch beim Preis berücksichtigt«, sagte er.
»Natürlich. Es ist auch gar nicht so gedacht, dass sie lange halten. Sie sind eher ein – wie heißt das doch gleich? – ein Serviervorschlag . Möchten Sie die oberen Räume sehen?«
»Möchten Sie mit mir mittagessen?«
Eine unangenehme Pause folgte. Holly sah auf ihre Lederstiefel und presste die Lippen aufeinander, und er dachte, er hätte es vergeigt. Eine zweite Chance gab es nicht. Er konnte das nicht noch einmal durchstehen.
Dann fragte sie: »Worauf haben Sie Lust?«
»Sie sind die Maklerin. Sie kennen die Restaurants in der Gegend.«
»Dann fahren wir am besten in die Stadt, in Ordnung?«
Vor dem Haus wussten sie einem Moment lang nicht, mit welchem Auto sie fahren sollten. Schließlich nahmen sie ihres.
Holly schaltete das Radio ein und sagte: »Ich mag dieses Lied.«
Sie drehte es lauter. Smokey Robinson.
»Ich auch – ›I Second That Emotion‹«, sagte Nathan.
Sie sang leise mit und trommelte im Takt auf das Lenkrad. Sie wirkte nicht unglücklich.
Sie parkte vor einer Grundschule. Auf dem Parkplatz fand gerade ein Wohltätigkeits-Flohmarkt statt. Während sie die Autotüren zuschlugen, betrachteten sie die Familien, die sich dort versammelt hatten. Nathan schielte zu Holly hinüber, um zu sehen, ob ihre Augen etwas erkennen ließen. Aber er sah nichts. Er folgte ihr um die Ecke, vorbei an einem Feinkostladen, einem Kiosk und einem algerischen Café. Sie betraten eine Tapasbar. Drinnen zog sie den Mantel aus. Sie setzten sich, und er bot ihr eine Zigarette an.
»Nein danke. Aber rauchen Sie ruhig.«
»Stört es Sie?«
»Nein, überhaupt nicht. Rauchen Sie ruhig. Ich versuche, den Rauch einzuatmen.«
Er wollte das Päckchen gerade wieder einzustecken, als sie sagte: »Wirklich. Ich würde es sagen, wenn es mich stören würde.« Während sie ihren Schal abnahm, fügte sie hinzu: »Ehrlich gesagt würde ich liebend gern mitrauchen. Ich habe erst zu Silvester aufgehört.«
»Ich hab auch mal zwei Jahre lang nicht geraucht.«
»Zwei Jahre ? Warum haben Sie dann wieder angefangen?«
»Ach, das Übliche. Stress eben.«
»Davon kann ich ein Lied singen.«
»Ist Immobilienmaklerin so ein stressiger Beruf?«
»Ich bin eigentlich keine Immobilienmaklerin. Ich meine, es ist nicht mein Traumberuf oder so.«
»Seit wann machen Sie das
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