Vergraben
denn?«
»Ach, keine Ahnung. Zwei Jahre? Drei Jahre.«
»Und wie sind Sie dazu gekommen?«
»Es hat sich einfach so ergeben. Das Leben …« Sie flatterte mit einer Hand wie ein Vogel und fragte dann: »Was ist mit Ihnen? Seit wann arbeiten Sie als …?«
»Verkaufsleiter.«
»Stimmt. Und was verkaufen Sie noch mal?«
»Grußkarten.«
»Ja, stimmt.«
»Es ist nicht so langweilig, wie es sich anhört.«
Sie knabberte an einer Salzstange.
»Na gut«, sagte er. »Es ist ziemlich langweilig.«
»Seit wann machen Sie das?«
»Seit vier Jahren.«
Der Kaffee kam. Er nahm einen Schluck, zündete sich noch eine Zigarette an. Holly fragte: »Sind Sie einer von diesen Geschäftsmännern, die bei Stress erst richtig aufblühen? Jede Menge Kaffee, jede Menge Zigaretten …«
»Nicht wirklich. Ich bin eigentlich kein geborener Geschäftsmann. Ich mache das nur, um Geld zu verdienen.«
»Also: Ich bin keine geborene Immobilienmaklerin, und Sie sind kein geborener Geschäftsmann.«
»Ich glaube, Sie sind wahrscheinlich eine sehr gute Immobilienmaklerin.«
Sie lachte, plötzlich, laut und heiser. Dann hielt sie sich die Hand vor den Mund, als sei sie über sich selbst erstaunt, und sah sich nach links und rechts um.
»Tut mir leid.«
»Kein Problem.«
Sie überspielte ihre plötzliche Röte mit der Frage: »Wenn ich wirklich so gut bin, heißt das, dass Sie mir ein Haus abkaufen?«
»Vielleicht. Wenn Sie Ihre Karten richtig ausspielen.«
»Ich glaube, Sie sind wahrscheinlich ein sehr guter Geschäftsmann.«
Das Essen kam. Sie aß mit der Gabel in der rechten Hand, nach amerikanischer Sitte.
Sie beugte sich hinüber, um ihm eine Pommes zu klauen, auf der sie dann grinsend herumkaute.
Dann strich sie sich das Haar aus den Augen und wurde still.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
Sie antwortete lange nicht, stocherte nur in ihrem Essen herum, nahm einen kleinen Bissen und tupfte sich mit einer Serviette die Mundwinkel ab.
Er sagte: »Holly, es muss Ihnen nicht peinlich sein, dass Sie gelacht haben.«
Ihr langes Schweigen wurde noch durchdringender. Dann legte sie das Besteck nieder und sah ihn an.
»Warum sagen Sie das?«
»Einfach so.«
Sie sah ihn weiter an, als hätte sie eine Vermutung, dass sie sich von früher kannten, von vor langer Zeit.
Sie überzogen die Mittagspause um eine halbe Stunde.
Draußen sagte Nathan, er würde mit dem Taxi zum Haus zurückfahren, um sein Auto abzuholen. Sie dankte ihm. Nervös suchte sie in ihrer Handtasche nach dem Autoschlüssel. Sie ließ ihn auf den Gehsteig fallen.
Sie blieben vor ihrer Autotür stehen. Sie schloss sie mit einer schnellen Handbewegung auf, und es ertönte ein leiser, bestätigender Piepton.
Holly sagte: »Na dann. Danke fürs Essen.«
»Können wir das noch mal wiederholen? Wenn Sie weniger in Eile sind? Wenn Sie mehr Zeit haben?«
»Ich kann immer nur eine Stunde Mittagspause machen. Sie wissen ja, das macht sonst einen schlechten Eindruck.«
»Es muss ja nicht zu Mittag sein. Vielleicht am Abend?«
Sie dachte darüber nach.
»Am Abend wäre toll. Dann lade ich Sie ein.«
»Gut. Von mir aus. Schön.«
»Am Mittwoch?«
»Mittwoch ist super.«
»Rufen Sie mich an.«
»Mach ich.« Er machte das Zeichen mit der Hand und kam sich dabei wie ein Idiot vor. »Ich rufe Sie an.«
Dann stand er auf der Straße und sah zu, wie sie losfuhr: ruckartig, impulsiv, ziemlich draufgängerisch. Er blieb stehen, während ihr Auto an der Ampel wartete. Und er blieb stehen, als das Auto längst weg war, und schaute einfach auf den leeren Raum, den sie bis gerade eben ausgefüllt hatte.
16
Am Dienstagmorgen kam Justin direkt nach der Marketingsitzung in Nathans Büro und setzte sich auf die Ecke seines Schreibtischs.
Justin war groß und stark übergewichtig und trug immer etwas zu kurze Hosen. Er hatte ein kindliches Gesicht, lockiges Haar und (wenn er wollte) treuherzige Bambi-Augen.
Nathan ignorierte ihn mehrere Sekunden lang, indem er sich auf den Ausdruck einer Mitteilung über einen weiteren Anstieg der Papierkosten konzentrierte. Dann drehte er seinen Bürostuhl herum.
»Geht’s dir gut?«, fragte Justin.
»Wieso?«
»Na ja, bei der Marketingsitzung eben warst du ganz schön neben der Spur.«
»Hör zu, ich wollte dir nicht widersprechen.«
»Das meine ich nicht. Ich glaube, wir sind aus dem Schneider. Ich mache mir Sorgen um dich .«
Aber sie waren nicht aus dem Schneider: Justin war stümperhaft und unglaubwürdig aufgetreten, er
Weitere Kostenlose Bücher