Vergraben
June. Er dachte an den Tag, als sie die Fotos aufgehängt hatten.
Er ging langsam um das Sofa herum und setzte sich. Er legte den Kopf in die Hände.
Bob sagte: »Wir müssen sie woanders hinbringen.«
»Ich kann das nicht.« Die zehn Jahre seitdem hatte es nicht gegeben. »Verdammte Scheiße. Ich kann es einfach nicht fassen.«
»Es wird nicht schwer. Es kann nicht mehr viel übrig sein. Nicht, nach so langer Zeit.«
»Was soll das Ganze dann?«
»Ich meine, sie wird nicht schwer sein. Sie wird nicht viel wiegen.«
Nathan fing an zu lachen. Er hielt sich die Hand vor den Mund.
»Können wir sicher sein, dass sie gefunden wird?«
»Dein Sperma ist in ihr. Ein wie großes Risiko willst du eingehen?«
»Aber müsste es inzwischen nicht … verrottet sein?«
»Es gibt Spurensicherungstechniken, die du dir nicht vorstellen kannst. Man braucht nur einen Bruchteil genetisches Material – nur einen winzigen, klitzekleinen verdammten Schnipsel. Den kann man vervielfältigen. Ich weiß auch nicht, wie das genau geht, aber man trennt ihn irgendwie auf. Das heißt PCR. Eine Polymerase-Kettenreaktion. Wo vorher ein bisschen DNA war, ist plötzlich ganz viel. Und glaub mir, wenn noch irgendwas in ihr oder auf ihr ist, finden die es. Es ist ja nicht so, als wüssten sie nicht, wo sie suchen sollen … in ihrer Gebärmutter, ihrem Mund, ihrem Anus …«
»Fuck.«
»Wir fahren da hin, parken auf dem Waldweg, graben sie aus, legen sie in den Kofferraum und bringen sie … ich weiß nicht, wohin. Das hab ich mir noch nicht überlegt. Irgendwohin, wo man sie nicht finden kann. Vielleicht müssen wir Säure oder so was über sie gießen. Du weißt schon, ähm, da unten herum. Batteriesäure oder so was.«
»Ich kann das nicht.«
»Klar kannst du das. Du hast es schon mal gemacht. Dieses Mal wird es leichter.«
»Nicht noch mal.«
»Du musst.«
»Ich gehe das Risiko ein.«
»Und was ist mit Holly?«
Ein kleiner Schweißtropfen lief an Nathans Wirbelsäule entlang. Nathans Körper war klamm, wie an einem gewittrigen Tag.
»Denn es wäre furchtbar, ihr so was anzutun«, sagte Bob. »Elise von so einer beschissenen Planierraupe ausgraben zu lassen. Und dann erfahren zu müssen, dass sie wegen dir dort lag.«
»Mach du es allein.«
»Das würde ich, wenn ich könnte. Aber es sind zwei Leute nötig, um es richtig zu machen. Zwei Paar Hände. Zwei Paar Augen.«
»Ich dachte, sie wäre leicht .«
»Ich kann es nicht allein machen. So ist es nun mal.«
Über ihnen wurde eine Tür zugeschlagen. Eilige Schritte liefen die Treppe hinunter.
»Hast du Angst?«, fragte Nathan.
»Du etwa nicht?«
»Doch. Klar hätte ich auch Angst.«
Sie saßen schweigend da. Dann stand Nathan auf. »Ich melde mich.«
»Ja, aber mach das wirklich.«
Nathan schlurfte aus dem Einzimmerapartment und schlug die Tür hinter sich zu. Er ging die Treppe hinauf und zur Haustür hinaus und die Einfahrt entlang und ins Tageslicht.
Er setzte sich auf eine Mauer, deren Metallgeländer 1941 abgenommen und zu Waffen eingeschmolzen worden war. Die schwarzen Verankerungen waren längst verwittert. Er sog große Mengen frischer Luft ein und sah den Verkehr vorbeirauschen.
Nathan ging hinein und ließ sich in den Lehnstuhl fallen. Er saß in seinem Mantel da und starrte auf den Fernseher. Es lief gerade Coronation Street .
Holly saß auf dem Sofa. Sie war fast den ganzen Tag unterwegs gewesen, um ein Lagerhaus in Birmingham zu besichtigen, das sie umbauen wollte. Dann hatte sie ein paar Stunden im Heimbüro gearbeitet, das sie im zweiten Schlafzimmer eingerichtet hatten.
Sie hatte zur Entspannung ein heißes Bad genommen. Wenn sie das nicht machte, konnte sie nicht schlafen, weil sie dann die ganze Nacht an die Arbeit dachte. Manchmal passierte das auch Nathan. Dann wachte er um zwei Uhr morgens auf, weil er sich Sorgen um eine neue Kartenkollektion machte, die sich nicht verkaufte. Jetzt duftete Holly nach Badeöl. Sie trug eine Jogginghose und ein T-Shirt. Ihre Hände und Füße waren weich. Sie saß im Schneidersitz halb liegend auf dem Sofa, sah fern und machte ein Kreuzworträtsel.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Nichts.«
Sie legte die Zeitung hin und schaltete den Fernseher stumm.
»Du siehst gar nicht gut aus.«
Er griff sich an die Schläfe. »Ich hab ganz üble Kopfschmerzen.«
Sie kam zu ihm und setzte sich auf seinen Schoß. Sie war so sauber. Sie schlang die Hände hinter seinen Kopf und sagte: »Das passt aber gar nicht zu dir.
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