Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
gefunden hatte, die ihn gerettet hatte. Und an den jungen Ben, dem dieses Mädchen Jaclyn zu Hilfe kam, um ihm den rechten Weg zu weisen. Sie hielt es nicht länger aus. Wie von allein schossen ihre Hände wieder an den Hals, versuchten, den Druck zu bekämpfen. „Was ist passiert, Ben?“
Er schluchzte. Der Krampf hielt an, sein Arm ließ sich nicht bewegen.
„Blut. Es war alles voller Blut. Meine Hände, meine Kleidung. Mein Gesicht. Die Wände. Der Boden.“
Um Gottes willen! Das klang wie eine Szene aus
Kettensägenmassaker
. Sie fixierte einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand. Ihr Blickfeld verschwamm am äußeren Rand, dann konnte sie die Augen bewegen und erfasste Neil. Er hatte sich nicht bewegt.
Reese zog wieder an Bens Arm, vergebens. Sie versuchte, Neil ein Zeichen zu geben und er hob eine Hand. Verstand, was sie meinte. Noch immer gab es keine Möglichkeit, Ogan zu überwältigen, wollte sie nicht eine durchtrennte Halsschlagader riskieren. Sie hielt zwar an ihrer Überzeugung fest, dass er ihr absichtlich keine Gewalt mehr antun wollte, aber im Reflex würde er die Klinge über ihre Haut ziehen. Dieses Risiko wollte auch Neil nicht eingehen, das entnahm sie seiner Haltung und seinem Blick.
Bens Schweigen dauerte zu lange. Sie musste ihn unbedingt wieder zum Sprechen bringen. Sally hatte die Beine angezogen, die Arme darum geschlungen und den Kopf auf die Knie gelegt. Sie schaukelte vor und zurück.
„Ben, bitte erzählen Sie alles. Was ist passiert?“
„Ich weiß es nicht.“ Er hämmerte seinen Kopf gegen die Holzwand. „Ich weiß es verdammt noch mal nicht. Ich glaube, ich habe sie umgebracht. Der Polizei konnte ich damals erzählen, dass ich einen Einbrecher überwältigt habe. Ich hatte Verletzungen an den Händen. Schnitte, die davon stammten, dass ich ein Messer abgewehrt hatte. Aber ich vermute, dass sie davon stammten, dass sich die Opfer gewehrt hatten. Tamis Pflegeeltern. Gott, ich habe sie umgebracht und meinetwegen ist Tami durchgedreht und … ich weiß nicht mehr, was passiert ist. Ich bin aufgewacht, weil sie auf mich eingeschlagen hat. Alles war voller Blut. Alles.“
Der Arm mit seinem Messer sackte herab. Blitzschnell griff Reese es sich und schleuderte es durch den Raum, hob gleichzeitig die andere Hand. „Nicht, Neil!“
Ben Ogan bekam ihren Ausruf nicht mit. Bevor Reese der Stereogrammblick entglitt, sah sie, dass Neil nickte. Die Gefahr war vorüber. Mit bloßen Händen konnte Ogan ihr nichts mehr antun, Neil könnte problemlos dazwischengehen und jetzt war es nur noch wichtig, zu erfahren, was tatsächlich geschehen war.
Sie ergriff wieder das Wort und legte alle Kraft in ihre Stimme. „Sally, was ist passiert?“ Sie wunderte sich, dass ihre Aufforderung tatsächlich herrisch geklungen hatte und Sally eine Reaktion zeigte. Ihr Blick wirkte vernichtend.
„Tami hatte es so viel besser getroffen. Sie konnte gute Noten in der Schule schreiben, weil sie ein Elternhaus hatte, das sie vergessen ließ. Ich hingegen musste vor meinem Abschluss abgehen, weil ich nicht genug Zeit hatte, zu lernen. Ich bekam weder Taschengeld noch hätte Mom es unterstützt, dass ich studiere. Mit der Musik habe ich mir erbärmliche Reserven geschaffen und wann immer ich ein paar Dollar gespart hatte, war das Geld plötzlich weg.“ Sie schob sich langsam mit dem Rücken an der Wand hoch. „Dann musste ich zwei Jahre lang zusehen, wie Ben und Jaclyn ihre Pläne vorantrieben. Ben ist es immer leicht gefallen, zu lernen. Er musste sich nie anstrengen, konnte förmlich die Bücher unters Kopfkissen legen und hatte am nächsten Tag Formeln oder Vokabeln intus. Mir ist das Lernen niemals so leicht gefallen.“
„Dich hat der Neid zerfressen“, warf Ben ein.
„Psst“, zischte Reese.
„Ja!“, schmetterte Sally ihm entgegen. „Es war nicht gerecht! Nicht, dass es Tami so gut ging und nicht, dass du aus deinem Kellerloch aufgetaucht bist. Mich beklaut hast. Mir sämtliche Perspektiven geraubt hast.“
„Was hast du getan, du Nutte?“
Gott, Bens Atem beschleunigte sich schon wieder. Dennoch hob Reese erneut die Hände. Auf ein winziges Zeichen von ihr würde Neil zupacken, das wusste sie. Doch die Sache war noch nicht ausgestanden. Ihr Mut wankte bedenklich, dennoch forderte sie mit ihrer Geste nachdrücklich, dass Neil still hielt.
„Alec und ich wollten an dem Abend der Party den Safe leerräumen und verschwinden. Wir wussten von Tami, dass sich darin Wertpapiere, Schmuck und
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