Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
durchaus Intelligenz zu. Wenn sie ihr Gefühl bedachte, dass er sich der Handlungsweise vollkommen bewusst war, durch Schweigen Nachfragen zu entgehen und Zeit zu schinden, dann sollte sie ihm sicher eine hohe Intelligenz attestieren.
Maggie Garner war sein mutmaßliches drittes Opfer. Reeses Eingaben erlahmten auf der Tastatur während des Schreibens, weil ihre Finger so schwer wurden wie ihr Herz, als sie daran dachte, welchen Preis Maggie für ihre Freiheit gezahlt hatte.
Gab es Zusammenhänge zwischen den Opfern? Gemeinsamkeiten? Alle drei waren sehr jung gewesen. Obwohl ihr Details zu den beiden ersten Fällen fehlten, wusste sie, dass die jungen Leute alle unter zwanzig gewesen waren. Der Nagel und die Zange gaben ihr Rätsel auf.
Ein Gähnen drängte sich mit Gewalt tief aus ihrer Brust. Wahrscheinlich ergab es nicht den geringsten Sinn, hier zu sitzen und Profiler zu spielen. Bis jetzt hatte sie keine Anhaltspunkte notiert, die der Polizei unbekannt waren. Sie lehnte sich zurück und versuchte, die Gedanken freizubekommen, doch es gelang ihr nicht.
Hundertprozentig hatten die beiden Opfer nicht zufällig diese Dinge bei sich getragen, ehe sie in die Fänge des Killers geraten waren. Gab es eine andere Schlussfolgerung, als dass er selbst ihnen die Werkzeuge an die Hand gegeben hatte? Sie sah keine. Wollte er ihnen etwa die Chance einräumen, sich aus ihrer Lage zu befreien? Die Detectives hatten nichts darüber erwähnt, ob auch Maggie einen Gegenstand bei sich hatte oder in der Hütte etwas gefunden worden war. Außer vielleicht, wenn man ihre Armbanduhr dazuzählte. Reese legte die Finger wieder auf die Tastatur.
Sie steuerte den Cursor zurück zwischen die Wörter
hatten
und
Werkzeuge
und ergänzte: (unnütze). Der Täter musste damit etwas bezweckt haben. Viele Serienmörder hinterließen an den Tatorten eine Visitenkarte oder nahmen etwas von den Opfern an sich – ein Andenken. Manchmal fehlten sogar Körperteile.
Was waren Serienmörder für Menschen? Reese hatte sich während ihres Studiums knapp zwei Semester lang mit Psychologie beschäftigt, ehe ihr aufging, dass ihre Kunst in ihren Händen lag und sie sich weit mehr zur Chirurgie hingezogen fühlte als zum menschlichen Geist. Dennoch hatte sie einiges aus den Vorlesungen mitgenommen. Einem Menschen, der zu solchen Taten fähig war, musste es vollkommen an Empathie fehlen. Eine typische Eigenschaft eines Psychopathen – das Nichtvorhandensein von sozialer Verantwortung, Gewissen und der Fähigkeit, Gedanken und Gefühle eines anderen Menschen zu erkennen. Kam die Eigenschaft hinzu, dass die Person nicht oder nur eingeschränkt fähig war, Mitgefühl zu empfinden, sprach man auch von einem Soziopathen.
Sie hätte ihre Liste noch um einige Punkte verlängern können. Psychopathen zeigten meist frühe Verhaltensauffälligkeiten, machten häufig in der Jugend erste Erfahrungen in Erziehungsanstalten oder Jugendgefängnissen. Impulsivität, unzureichende Beurteilungsfähigkeit ihrer Verhaltensweisen und die Unfähigkeit, sich zu kontrollieren, zählten ebenfalls zu den typischen Charaktereigenschaften. Ihrer Umwelt konnten sie durchaus als sprachgewandte Blender entgegentreten. Sie stammten aus allen Gesellschaftsschichten, es war sogar keineswegs unüblich, dass sich hinter Serienkillern hochintelligente Menschen verbargen, die Vertrauensstellungen in der Gesellschaft besetzten. Ärzte, Lehrer, Polizisten – man konnte ihre Herkunft nicht auf niedrigere Berufsstände reduzieren und den Kreis verkleinern. Vielfach verfügten Psychopathen auch über ein erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl, hingegen mangelte es ihnen an der Fähigkeit, echte Gefühle aufzubringen.
Dafür kochten diese umso mehr in Reese. Frustriert speicherte und schloss sie das Dokument. Diese Fakten hatte sicher ein Profiler bereits zusammengetragen. Sie konnte den Ermittlern nichts Neues erzählen und wie sollten ihre Überlegungen sie auch weiter bringen als die Spezialisten? Sie sollte sich weniger Gedanken um den Killer machen und stattdessen versuchen, zur Ruhe zu kommen. Immerhin hatte sie sich vorgenommen, dieses Wochenende zu entspannen und die Patienten einmal zurückzustellen. Sie stand auf, schaltete den CD-Spieler ein und ging ins Badezimmer.
Simba trat neben Dix an die Küchentheke und schob ihn mit der Schulter beiseite. „Lass mal, ich kann mir selbst einen Kaffee machen.“ Dass das mit einer Hand nicht so einfach war, wie er dachte, verbiss er
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