Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
gleichmäßige Atmung und kontrollierte Bewegungen, das machte es etwas leichter. Nach anderthalb Stunden legten sie eine Rast ein, doch nur für wenige Minuten. Selten fiel Mondlicht durch das üppige Dach der Baumkronen und falls doch, schaffte der Strahl es nicht bis zur Erde. Der Wald verdichtete sich in Reeses Bewusstsein immer weiter zu einer irrealen Welt. Bäume, deren Namen sie nicht benennen konnte, Grünzeug und Buschwerk, aus dem fremdartige Geräusche drangen und ein Geruch, der gleichwohl an süße Früchte erinnerte wie an heißen Wasserdampf aus dem Bügeleisen. Jemand riss sie an der Schulter zurück.
„Scht. Ruhig stehen bleiben, nicht bewegen“, zischte Crabb. Er schob sie dicht an einen mächtigen Baumstamm heran, an den sich auch Zac und Wade drängten.
Reese hielt den Atem an. Irgendwo in der Nähe raschelte es laut, ihr schien, als vibrierte der Boden unter ihren Füßen. Dann hörte sie das Trompeten.
„Elefanten?“, flüsterte sie.
„Es müssen zwei oder drei Tiere sein“, gab Crabb leise zurück. „Am besten bleiben wir hier stehen, bis sie vorbeigezogen sind. Bewegt euch nicht.“
„Ich hab mal gesehen, wie ein Zoowärter von einer Elefantenkuh angegriffen wurde“, sagte Wade. „Jesus Christ! Der hatte keinen heilen Knochen mehr im Leib.“
„Wenigstens fressen sie nur Pflanzen.“
Die Geräusche klangen, als bahnte sich eine Planierraupe durch das Dickicht und entfernten sich allmählich.
„Wir sollten uns langsam einen Platz zum Übernachten suchen und ein Lagerfeuer anfachen“, sagte Crabb. „Das wird die Großkatzen fernhalten.“
„Oder ihnen Geschmack auf Röstfleisch machen“, fügte Wade an.
Zac pirschte sich voran und winkte sie hinterher. Eine Lichtung öffnete sich vor ihnen. Er ging einige Schritte hin und her und trat auf dem Boden auf. „Der Untergrund ist fest. Ich hoffe, es regnet nicht ausgerechnet heute Nacht.“ Er blickte in den Himmel und Reese folgte seinem Blick. Nichts als Schwärze war zu sehen, unmöglich, zu unterscheiden, ob es sich um Wolken oder das Dickicht der Baumkronen handelte. „Wir werden ohnehin keine bessere Stelle finden.“
Sie schob sich dichter an Wade heran. „Sag, welche gefährlichen Tiere gibt es in Indien?“ Schlimmer als in Afrika konnte es kaum sein, aber da hatte sie wenigstens in Stelzenhütten geschlafen.
„Du meinst so etwas wie Tigerpythons, Königskobras, Sumpfkrokodile, Bengaltiger, Panzernashörner, Hyänen, Bisons, Löwen und Leoparden?“ Wade schlug mit seinem Buschmesser Gestrüpp beiseite.
Reese schluckte und nickte.
„Wir stellen Umleitungsschilder für sie auf, okay?“
In der Nacht fielen die ersten Tropfen. Zuerst plätscherte es nur hin und wieder leise auf das Zeltdach und Reese verfolgte in Gedanken die Spur, die das Wasser an den Zeltwänden entlang nahm, bis sich die Tropfen auf der Oberfläche verloren. Sie assoziierte ihre Furcht mit den Regentropfen. So, wie sie auf das Zeltdach klatschten, trafen angstvolle Fragen und Ungewissheit ihr Herz.
„Wade“, flüsterte Reese. Hoffentlich schlief er in seinem Zelt neben ihr noch nicht. „Hast du eigentlich eine Spur von ihnen? Kannst du sie riechen?“ Sie holte tief und langsam Luft, versuchte, Gerüche zu filtern und zu bestimmen, aus welcher Richtung sie kamen, aber ihr lag nur die schwere, dicke Zeltluft in der Nase.
„Wir werden sie finden, hörst du?“
Das war nicht die erhoffte Antwort.
„Mit deiner Nase ist alles okay?“
„Schon.“
„Aber?“
„Der Monsun …“, kam seine Antwort leise herüber, „es muss in den vergangenen Tagen bereits geschüttet haben und der Regen hat die Gerüche fortgespült.“
Mittlerweile mussten sie lauter sprechen, denn das Tröpfeln hatte sich zu einem stetigen Rauschen gesteigert und das Wasser schwemmte ihre Hoffnung davon. Der neue Schauer würde wahrscheinlich noch die letzte Spur tilgen.
„Das Gute ist“, sagte Wade gedämpft, „dass ich nicht nur nach Simba suche, sondern weitere Personen ihre Duftnoten hinterlassen haben. Das steigert die Chancen.“
„Wie funktioniert das bei dir? Kannst du einzelne Nuancen filtern?“
„Meistens.“
„Riechst du hier irgendwo … menschliches Blut?“
„Nein.“
Sie wollte sich einreden, alles wäre in Ordnung. Natürlich, nur ein idyllischer Waldspaziergang, eine Schnitzeljagd für Erwachsene, doch die bittere Realität ließ sich um keine Haaresbreite verrücken. Reese wälzte sich auf ihrer Isomatte und rutschte plötzlich
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