Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
annehmen, Nat würde den Typen anrufen, mit dem Mom sie kürzlich bei Burger King gesehen hatte. Ein völlig ausgeflippter Junge mit grün gefärbten Haaren, die er zu Stacheln aufgestellt trug, das Gesicht voller Piercings und jeden sichtbaren Flecken Haut an den Armen tätowiert. Er ging mit ihr zur Schule und sie waren sich nur zufällig begegnet. Im Grunde war er wirklich nett, aber als Freund im Sinne einer Beziehung hätte Nat ihn trotzdem niemals in Betracht gezogen. Weil Mom widersinnigerweise aber genau das glaubte und Nat sich zu Hause eine Predigt anhören musste, hatte sie Mom einfach in dem Glauben gelassen, sie könnte Interesse an ihm haben.
Sie lächelte, als sie sah, wie Mom schweren Herzens schluckte und sich ein kaum wahrnehmbares Nicken abzwang. Echt, als wäre sie nicht Anfang dreißig, sondern steinalt und besäße die Weisheit eines Fossils. Völlig verbohrt, antiquiert, vollgestopft mit Vorurteilen. Logisch, das entsprang ihrer Sorge um Nat – aber sie war schließlich kein Baby mehr. Der Absprung, sie endlich wie eine Erwachsene zu behandeln, fiel Mom auffallend schwer.
Nat fischte sich ihr Smartphone und wählte. Zwei Sekunden darauf hörte sie den gedämpften Klingelton aus Dads Jackentasche. Er runzelte die Stirn und ließ es klingeln. Natana legte auf, der Rufton verstummte. Wenn ihm jetzt nichts auffiele … sie musste sich echt das Lachen verbeißen und wählte erneut. Dieses Mal konnte keiner mehr so tun, als wäre es ein Zufall. Die Ungewissheit, ob sie zu weit ging, nagte an ihr – aber verdammt! Sie war schließlich das Kind von beiden! Und sie hatte ein Recht darauf, dass sie ihre Probleme unter sich ausmachten, ohne sie darunter leiden zu lassen. Sie fand es nicht zu viel verlangt, wenn sich die beiden zusammenrissen, um mit ihrer Tochter ein Konzert zu besuchen – auch nicht, wenn man damit argumentierte, dass sie als Erwachsene behandelt werden wollte und alt genug war, Verständnis für die Probleme ihrer Eltern aufzubringen.
Endlich platzte der Knoten und Mom lachte. „Okay, unsere Tochter hat es mal wieder geschafft und ihren dicken Kopf durchgesetzt.“ Sie nickte Dad zu. „Wenn du nichts anderes vorhast …“
„Es ist mir eine Ehre, Ladys.“
Eine der Vorgruppen spielte und Natana lief ein Schauder nach dem anderen über den Rücken. Die Sängerin hatte eine samtene, schwermütige Stimme – und der Text, den sie sang, über Vergessen und Vergeben, ging nicht nur unter die Haut, er traf bis ins Mark. Zahlreiche Konzertbesucher hatten die Arme in die Luft erhoben und Feuerzeuge angezündet. Die flackernden Lichter wirkten durch den Liedtext wie erwachende und sterbende Seelen.
„Wie heißt die Gruppe?“ Dad wusste so etwas meistens, doch dieses Mal schüttelte er den Kopf.
„Ich hab’s vergessen. Sie stammen aus Montana, stand auf irgendeinem Plakat.“
Von denen würde sich Nat auf alle Fälle eine CD besorgen.
Sie schoben sich weiter durch die noch nicht so dicht stehende Menge nach vorn. Noch gab es Plätze in Bühnennähe und Dad hatte verlauten lassen, eine Überraschung parat zu haben. Er pflegte Kontakte zu diversen Bühnentechnikern – schon allein seines Berufes wegen. Dad verkaufte professionelle Musikanlagen im eigenen Geschäft. Wahrscheinlich hatte er ein Backstage-Date klargemacht, sie war nur gespannt, mit wem.
Endlich war es so weit. Die Bandmitglieder von
Beady Eye
sprangen von Special Effects begleitet auf die Bühne und spielten mit
The Beat Goes On
auf. Nat wiegte sich im Takt der Musik. Zu den sanften Klängen von
Blue Moon
geriet sie ins Träumen und bekam beinahe nicht mit, wie Dad ihr am Ärmel zupfte.
„Möchtest du so richtig abtanzen?“
„Wieso?“
„Sie spielen gleich
Bring The Light
. Komm.“ Dad griff nach ihrer Hand.
Sie drehte sich zu Mom um, aber die lächelte wissend und hielt sich dicht hinter ihnen. Dad schlängelte sich den Weg frei zur Balustrade gleich vor der Bühne und gab einem der Security-Leute ein Zeichen, woraufhin dieser sie zum linken Rand der Bühne winkte. Er öffnete die Absperrung, ließ sie dahintertreten und begleitete sie zu einer Treppe. Dad schob Nat zielstrebig vor sich her.
Zu
The Roller
sah Nat die Menge der Konzertbesucher in einem völlig neuen Licht. Zuckend unter den tanzenden Laserblitzen, wogend im Takt der Musik, euphorisch, verzaubert, in Magie versunken.
Oben am seitlichen Rand der Bühne steuerte Dad auf drei junge Frauen zu, die ihnen mit einem Lächeln begegneten. Nat
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