Verhängnisvolle Wiedersehen (The Immaculate Breed) (German Edition)
einst so gütigen Augen lag, ließen Gloria nicht zur Ruhe kommen. Flavia hatte die einstige Devena gefragt, ob sie Gloria irgendetwas zu sagen hätte. Daraufhin waren Worte in alter Sprache geflossen, die das Kind zu ihrem Glück noch nicht verstand. Aber der Unterton darin war unmissverständlich klar und mordlüstern.
Es war schrecklich gewesen. Obwohl ihre Tante ihren Tod in Kauf genommen und beinahe selbst bewirkt hatte, empfand Gloria immer noch Liebe und Mitleid für sie. Sie konnte Mathilda nicht hassen. Verwandtschaftliche Bande, zumal die letzten, die Gloria in dieser Welt hatte, wenn man von ihrer Patin Morrigan absah, ließen sich nicht so leicht auflösen.
Während Bekky sich bei jeder gesungenen Zeile dichter an Theodor heran wagte und schließlich verträumt den Kopf an seiner Schulter barg, hielt Gloria mindestens eine Hand breit Abstand zu ihrem Tanzpartner. Sie wollte und musste nüchtern und sachlich bleiben. Ray war schließlich, wenn überhaupt, nur ein guter Bekannter. Den Champagner und das gute Essen hatte sie ähnlich wie Nico kaum angerührt. Genauso wenig wie sie der Rede auf das strahlende Brautpaar hatte folgen oder diesen Tanz hier hätte genießen können. Mathilda spukte ihr im Kopf herum, und das würde sie später garantiert auch um den Schlaf bringen. Grund genug, um den Rest der Nacht sinnvoll zu nutzen. Und wenn ihre Umwandlung vollzogen war, würden die nächsten Schritte gegen Mathilda eingeleitet werden. Genauer gesagt der Letzte. Auch wenn sich Gloria gesträubt hatte, das Urteil gegen ihre Tante im Detail zu lesen, wusste sie, dass der Tod auf sie wartete, nachdem ihre Nichte ihr Neues endlich begonnen hatte.
Ihre Entscheidung noch weiter hinauszuzögern und damit weiter auf die Dienste der Krieger und auf den Schutz durch ihre neuen Freundinnen angewiesen zu sein, war nicht nötig. Diese Verbindungszeremonie war vielleicht ein guter Zeitpunkt, endlich auf eigenen Beinen zu stehen.
Sie konnte nicht ewig die Gastfreundschaft der anderen strapazieren und Morrigan von ihrer eigentlichen Arbeit abzuhalten, wurde langsam unangenehm, selbst wenn ihre Patin ihr niemals das Gefühl gab, eine Belastung zu sein. Ganz im Gegenteil, die Patrona des Hauses Averon hatte sie fest ins Herz geschlossen und umgekehrt genauso. Gloria liebte und verehrte die einst beste Freundin ihrer Mutter schon nach der kurzen Zeit ihres Kennenlernens sehr. Es würde schwer sein, danach wieder allein auszukommen, da Peter Cullen sie vorerst nicht mehr bewachen durfte und ihre Tante dann nicht mehr da sein würde, aber sie würde es schaffen. Sie war stark. Aus ihr wäre eine hervorragende Patrona geworden, hatte Morrigan einmal beiläufig in einem ihrer vielen Gespräche fallen lassen. Ganz so wie sich Glorias Mutter es gewünscht hatte. Dabei wollte Gloria nur eine Familie, in die man sie aufnahm, in der sie geliebt wurde und die sie zurücklieben konnte.
Kein Titel der Welt würde einem die Leere im Herzen füllen, die sie empfinden würde, wenn man ihre Tante zu Grabe trug, aber es war trotzdem Zeit, loszulassen. Ihr war nicht ganz klar, dass sie danach eben jene, einstmals für sie zugedachte Aufgaben würde übernehmen müssen.
Es hätte nicht den auffordernden Blicken seiner Mutter bedurft, damit Ray die Gelegenheit ergriff und Gloria auf die Tanzfläche führte. Unter der Fürsorge der anderen Frauen war sie regelrecht aufgeblüht und man sah ihr kaum an, dass sie gesundheitlich etwas angeschlagen war. Nur ihr beständig lockender Duft erinnerte daran, doch hier im Castle fiel das kaum auf, weil der Vollmond, der Gesang der Luscinia und die Affectio sogar die erfahreneren Frauen unter den Gästen in ihren Bann zogen.
Sie sah in dem schwarzen Kleid, das je nach Lichteinfall geheimnisvoll glitzerte, einfach phantastisch aus. Beinahe schon wie die Frau, die sie nach der Umwandlung sein würde. Ray wagte nicht einmal, ihr ein Kompliment zu machen, da er darin kaum Übung hatte und sie zudem auf mehr als freundschaftlichen Umgang sicher keinen Wert legte. Ray war zwar nicht unbedingt schüchtern aber sehr reserviert. Und still. Das war sicher keine Masche seinerseits, aber es wirkte dennoch auf das andere Geschlecht wie eine Aufforderung, seine Fassade knacken zu wollen. Er selbst fand nicht, dass sich dahinter besondere Schätze verbargen. Er war Analytiker kein Romantiker. Ein trockener Computer-Freak, die man doch heutzutage gerne als „Geeks“ bezeichnete.
Auf Rays Stirn zogen dunkle Wolken auf,
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