Verhängnisvolles Gold
Grinsen spielt um ihren Mund.
»Natürlich kann ich das.« Ich bin eine solche Lügnerin. »Erzählen Sie mir von Astleys Königin, von meiner Vorgängerin.«
Sie schleicht sich noch ein bisschen näher an mich heran. »Bis du dir darüber im Klaren, dass du meinen Sohn vor wenigen Augenblicken als deinen Freund bezeichnet hast? Meine liebe Zara, Elfen kann man nicht zum Freund haben. Wir sind nicht vertrauenswürdig. Die Interessen der anderen sind uns egal. Es geht immer nur um uns selbst. Deshalb hat Astley seine letzte Königin getötet, und deshalb wirst du höchstwahrscheinlich dasselbe Schicksal erleiden. Nicht vor mir musst du auf der Hut sein, Zara. Ich bin kein größerer Feind als er.«
Sie nickt und jemand reißt mir von hinten die Uhr aus der Hand. Ich wirble herum und stehe vor Bentley. Auf seinem morbiden Gesicht liegt ein Lächeln, als er die Uhr an Isla weiterreicht, die sich an mir vorbeigedrängt hat. Sie drückt das kitschige Teil an die Brust und spricht kosend auf es ein: »Mein armes, armes Baby. Hast du Angst gehabt? Ich würde niemals zulassen, dass dir etwas geschieht. Nein, niemals.«
»Madame«, unterbricht Bentley. »Was machen wir mit ihr?«
Sie wedelt kurz mit der Hand. »Mit ihr? Nichts. Lass sie gehen. Sie ist keine Bedrohung. Sie hat, was sie will.«
Er nimmt mich am Arm. Ich reiße mich los, schnappe mir das rote Buch und laufe allein in die Eingangshalle hinaus. »Ich geh ja schon.«
Er folgt mir und reicht mir den Schirm. »Das hat König Astley hier gelassen.«
»Danke.« Ich nehme ihm den Schirm ab. »Sind Sie auch ein Elf? Sie riechen nicht so.«
»Danke, Miss.« Er scheint jetzt aufrechter zu stehen. »Ich bin eigentlich ein Ghul. Danke, dass Sie das bemerkt haben.«
»Ein Ghul, aha …« Ich taxiere ihn. »Sind alle Elfen so … sind sie alle so launisch?«
»Die Royals haben eine Tendenz dazu. Wer verwandelt wurde, fällt entweder rasch dem Wahnsinn anheim oder bleibt emotional stabil. Ich glaube nicht, dass Sie ihr Schicksal teilen werden. Sie ist so geboren. Schlechtes Blut.« Er öffnet mir die Tür. »Bitte richten Sie dem König meine Grüße aus. Viel Glück, Mistress.«
Fallen rasch dem Wahnsinn anheim? Großartig. Ich trete nach draußen in den kalten Regen. »Auch Ihnen viel Glück.«
Hinter ihm ruft Isla. »Bentley! Ich brauche Kakao.«
»Danke.« Er verdreht die Augen. »Wie Sie sehen, habe ich die letzten Jahre alles Glück gebraucht, dessen ich habhaft werden konnte.«
Bevor er verschwindet, rufe ich nach ihm wie Isla, nur freundlicher, wie ich hoffe: »Bentley, wissen Sie, wohin Astley gegangen sein könnte?«
Er legt den Kopf ein bisschen schief. Wahrscheinlich um mich zu taxieren. Den Bruchteil einer Sekunde lang zögert er, dann hat er offenbar entschieden, dass ich es wert bin oder dass ich vertrauenswürdig bin, jedenfalls fährt er sich ganz kurz mit der Zunge über die Lippen und sagt: »Als er jung war und sie … gestritten haben … und sein Vater nicht eingegriffen hat, ist er oft weggelaufen. Ich wurde dann geschickt, ihn zu suchen. Oft war er im Park.«
»Im Park?«
»Im Central Park.«
»Der Central Park ist riesig. Wo dort?«
» Bentley!« kreischt Isla im Zimmer nebenan.
Bentley wird wie von einer unsichtbaren Kette nach hinten gerissen. Er schraubt sich von mir weg auf das Wohnzimmer zu, wo wir Isla verlassen haben.
»Bitte, Bentley, sagen Sie mir …«, flehe ich.
Er hält inne, und es kommt mir vor, als würde eine andere Kette ihn in meine Richtung zerren. Seine Gesichtszüge verkrampfen sich, als würde er zwischen meinen und Islas Wünschen hin- und hergerissen.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, frage ich. Ich betrete das Haus wieder und strecke die Hand nach ihm aus. Meine Finger berühren den Stoff seines Jacketts genau in dem Augenblick, als er sich wieder ruckartig nach hinten bewegt, weg von mir.
»Gehen Sie zum Great Hill. Dort ist eine Wiese, die zum Ravine-Tal hinausgeht. Sie ist mit einem Zauber belegt, aber sie ist da …« Er strauchelt.
Ich will ihn aufhalten, will ihn bei mir haben, aber er sieht aus, als könnte es ihn auseinanderreißen, wenn wir beide ihn gleichzeitig brauchen.
Er taumelt davon und stürzt durch die Türöffnung des Raums, in dem Isla wartet.
»Das hat viel zu lange gedauert. Wo ist mein Kakao?«
Erst draußen im Regen wird mir klar, dass
1.Bentley und Isla über hundert Jahre alt sein müssen.
2.ich keine Ahnung habe, was ein Ghul ist.
3.ich keine Ahnung habe, warum Astley so
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