Verhängnisvolles Gold
…«, beginnt Betty. Sie fixiert mich mit ihrem Rudelführer-Blick. Ich hole tief Luft, erwidere aber den Blick. In meinem Magen rutscht etwas nach unten. »Du bist nicht in der Verfassung, dass du nach Walhalla gehen könntest.«
Mein Herz rutscht mir zusammen mit dem Magen noch weiter nach unten. Ich will protestieren und sagen, dass es nur noch ein bisschen wehtut und dass ich wunderbar in der Lage bin, zu gehen, was ja auch stimmt, als sie mich mit einem Finger zum Schweigen bringt: »Keine Widerrede. Wir sind uns alle einig. Du hast keine Chance.«
»Aber …«
»Kein aber, junge Dame.« Meine Mutter verschränkt die Arme vor der Brust. »Zur Not binden wir dich fest, aber du gehst nicht.«
»Wir dürfen nicht auch noch dich verlieren«, erklärt Betty.
»Ihr seid euch nicht einig. Astley stimmt nicht mit euch überein«, entgegne ich. Dann schließe ich einen Augenblick lang die Augen und versuche den Schmerz und die Enttäuschung wegzudrücken.
Als ich die Augen wieder öffne, hockt Astley direkt vor mir auf dem Boden. Seine Hände liegen seitlich an meinen Unterschenkeln, seine Stimme ist sanft, aber ernst: »Ich stimme mit ihnen überein.«
An der Wand tickt die Uhr und in der angrenzenden Küche brummt der Kühlschrank. All diese Geräusche zeigen mir, dass das Leben weitergeht, dass es real ist, dass sie das wirklich zu mir gesagt haben, sogar Astley.
»Ich habe mich verwandelt … ich habe mich verwandelt, um das zu tun. Wenn ich Nick nicht hole, dann bedeutet das, dass ich es umsonst getan habe.« Meine Stimme klingt hysterisch. Ich presse die Lippen aufeinander. Tränen schießen mir in die Augen.
»Ich weiß, Süße.« Betty tätschelt meinen Arm.
»Nein, das stimmt nicht«, widerspricht Astley. »Es ist nicht umsonst. Dass du dich verwandelt hast, macht mich stärker. Es bringt uns Stabilität. Wenn du als meine Königin mit mir lebst, werden wir …«
»Ganz sicher nicht«, unterbricht ihn meine Mutter.
Astley lässt seinen Blick von einem zum anderen wandern, während er aufsteht. »Darum geht es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Wichtig ist, dass wir nach Walhalla kommen. Wer geht?«
Mrs. Nix lässt ihren Becher sinken und stellt ihn auf ihrem großen Knie ab: »Ich werde gehen.«
»Aber wir haben doch beschlossen, dass ich gehe«, sagt Betty.
»Ich werde nicht so gebraucht. Du hast eine Familie, Betty, und medizinische Kenntnisse. Und ich kann, wie du weißt, ebenso gut kämpfen wie du.«
Betty nickt, »Stimmt.«
»Aber Sie werden auch gebraucht«, mische ich mich ein und schaue in Mrs. Nix freundliches, rundes Gesicht. »Und Sie haben eine Familie. Jeder an der Schule gehört zu Ihrer Familie. Wir sind Ihre Familie.«
Sie lächelt mich liebevoll an, diese Frau, die ein Bär ist: »Du bist so lieb, Zara. Lass es mich für dich tun. Lass mich diesmal der Held sein.«
Ich antworte nicht, weil ich keine Ahnung habe, welche Argumente ich noch anführen könnte.
»Sie hat eine größere Chance auf Erfolg«, fügt Betty hinzu. »Wenn du es tust, handelst du egoistisch. Du senkst unsere Chancen, Nick tatsächlich zu retten. Willst du das wirklich?«
Ich hole tief Luft. »Nein.«
»Hab ich mir gedacht«, erwidert sie. »Warum kann eigentlich immer nur einer gehen? Woher kommen diese alten Regeln überhaupt?«
Als wir aufbrechen, schneit es immer noch, und es sieht aus, als würde es niemals wieder aufhören, aber vielleicht liegt das auch daran, dass es sowieso seit Wochen ununterbrochen schneit. Obwohl die Schneefälle nicht sehr heftig sind, türmen sich auf den Gehwegen entlang der Main Street und der Highstreet hohe Schneehaufen. Die städtischen Räumkommandos sind pausenlos im Einsatz, um Straßen und Parkplätze vom Schnee zu befreien. Ein großer Teil der Schneemassen wird auf dem Parkplatz am Hafen abgeladen, denn im Winter wird der nicht gebraucht. Der städtische Kai ist eigentlich ein kleiner Park mit einem Aussichtspavillon und zwei schwimmenden Anlegern, die im Herbst auf den Parkplatz geschleppt worden und jetzt unter drei riesigen Schneebergen verschwunden sind.
Wir bilden Fahrgemeinschaften. Ich durfte erst nach heftigem Protest überhaupt mit – schließlich war ich mit Astley bis nach New York gefahren. Mom und Betty konnten mir kaum weismachen, eine Fahrt quer durch die Stadt sei zu anstrengend. Ich weiß, dass sie mich schützen wollen, weil sie mich lieb haben, aber im Ernst? Das ganze Getue wird mir langsam ein bisschen zu viel. Ich habe Zugeständnisse
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