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Verheißene Erde

Verheißene Erde

Titel: Verheißene Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Michener
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dafür gewinnen können, ihm zu helfen, noch mehr Farben zu finden. Es gab noch ein Dutzend andere vernünftige Erklärungen für die verworrene Farbgebung, aber keine kam der Wahrheit nahe: Gao hatte die Antilopen in dieser willkürlichen Art gemalt, weil er auf der Höhe seiner Fähigkeiten, als seine Sinne in höchster Erregung waren, eine Offenbarung gefühlt hatte. Ihm war klar geworden, daß nicht das naturgetreue Auftragen von Farbe innerhalb der Grenzen seiner Komposition die Realität einer Elenantilope am besten zum Ausdruck bringen würde, sondern ein wildes Spritzen, das den Geist der heiligen Tiere einfangen würde. Es war eine Zufallsleistung, die nur inspirierte Künstler fertigbringen, und das konnte Gao seinem Vater nicht erklären.
    Gumsto gefiel diese Nachlässigkeit gar nicht, denn er hielt sie für eine Unverschämtheit gegenüber der Elenantilope, deren Farben so und so sein sollten, wie alle Menschen wußten. Als er jedoch darüber Klage führen wollte, erblickte er in der rechten unteren Ecke des Wandgemäldes die Abbildung eines San-Jägers, dem die Elenantilopen Furcht einflößten, der ihnen aber mit seinem zerbrechlichen Pfeil die Stirn bot. Und er erkannte, daß er selbst dieser kleine Bursche war. Das Bild war eine Zusammenfassung seines Lebens, die Erinnerung an alle Elenantilopen, die er erlegt hatte, um seiner Sippe Überleben und Bedeutung zu sichern, und so blieb er stumm. Dreimal bat er seinen Sohn, ihn zu dem Gemälde zu tragen, damit er es betrachten und noch einmal mit den Tieren leben könne, die ihm so viel bedeuteten, und immer, wenn er sich so klein in der unteren Ecke sah, fühlte er, daß Gao recht hatte. Das war die Art und Weise, wie ein Mann leben sollte, mit den Hauptsachen, und nicht mit den Maden versteckt unter der Rinde des Weißdorns. Auf der Savanne zu sein mit einer winzigen Pfeilspitze, die den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmacht, sich zwischen die mächtigsten Antilopen zu stürzen, nicht die Klippspringer und die Waldducker, und gegen sie zu kämpfen, sobald sie kamen, das war die Natur des Menschen - und es war sein Sohn, der ihm die Wahrheit gezeigt hatte.
    Als es den anderen klar wurde, daß Gumstos Tage gezählt waren - er war nun fünfundvierzig, ein sehr hohes Alter für diese Menschen -, wußten sie, daß der Tag herankam, an dem sie nicht länger auf ihn warten konnten. Eines Nachmittags beobachteten sie nachsichtig, wie er von seinem Lagerplatz zu dem von Gao und Naoka besetzten ging, wo die junge Braut lässig im Sand lag. »Ich wollte dich zur Frau haben«, sagte er ihr. Sie lächelte. »Wir hätten.«
    »Es ist besser so«, sagte sie, ohne sich zu rühren. »Gao ist jung, und du bist jetzt ein alter Mann.«
    »Keine Jagd mehr«, sagte er. »Wie gut, daß dein Sohn gelernt hat.«
    »Das ist richtig«, stimmte der Alte zu. Es gab unendlich viele Dinge, die er diesem wundervollen Mädchen mit dem faltenlosen Gesicht gern gesagt hätte, aber es schien sie nicht zu interessieren. Als er jedoch wieder zu seinem Platz zurückkriechen wollte, lächelte sie ihm in ihrer bezaubernden Art zu und sagte: »Ich hätte dich gern zum Mann gehabt, Gumsto. Du warst ein Mann.« Sie seufzte. »Aber auch mein Vater war ein Mann, und eines Tages wird Gao ein ebenso großer Jäger sein, wie ihr beide es wart.« Sie seufzte wieder. »Es ist alles gut, so wie es ist.«
    Jeder in der Sippe wußte, daß die Entscheidung getroffen werden mußte. Gumsto blieb ständig zurück, so daß er zum Hemmschuh wurde, und das konnte nicht geduldet werden. Noch zwei weitere Tage diente ihm die alte Kharu als Krücke, an der er sich festhielt, während sie sich auf ihren Grabstock stützte. Sie waren zwei alte Leute, die versuchten, mit den anderen Schritt zu halten. Als es am dritten Tag schien, als ob er zurückgelassen werden müsse, bemerkte Kharu zu ihrer Überraschung, daß Naoka nach hinten kam, um Gumsto zum Weitergehen zu veranlassen. »Laß ihn sich auf mich stützen«, sagte das Mädchen, während es die größere Last übernahm, und als Kharu in der Hitze des Tages zu versagen begann, schleppte Naoka ihn allein weiter. Bei Einbruch der Nacht, als die anderen schon weit voraus waren, erklärte Gumsto den zwei Frauen: »Das ist die letzte Nacht.« Naoka nickte und ließ die beiden Alten unter einem Weißdornbaum zurück.
    Am Morgen holte Kharu die anderen ein und verlangte ein gefülltes Straußenei und einen Knochen mit etwas Fleisch. Gao verschaffte ihr das

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