Verheißene Erde
Gebiete ziehen. Beim Abmarsch fiel Kharu jedoch etwas auf, das sie beunruhigte: Gumsto begann
zurückzubleiben. Er überließ seinen gewohnten vorderen Platz Gao, und als das mehrmals geschehen war, sprach sie mit ihm.
»Bist du traurig wegen Naoka? Du weißt doch, sie verdient einen jüngeren Mann.«
»Es ist mein Bein.«
»Was?« Die Einfachheit ihrer Frage verbarg den Schrecken, den sie fühlte, denn ein verletztes Bein war so ziemlich das Schlimmste, das auf einem Marsch passieren konnte. »Als wir die Löwen angriffen...«
»Sie haben dich mit ihren Krallen verletzt?«
»Ja.«
»O Gumsto!« klagte sie. »Und ich habe dich in diese Aufgabe getrieben.«
»Auch du hast daran teilgenommen. Die Löwen hätten dich ebenso verwunden können.« Er setzte sich auf einen Stein, und Kharu untersuchte die Wunde. Aus der Art, wie er zusammenzuckte, wenn sie gewisse Nerven berührte, wußte sie, daß er in einem schlechten Zustand war. »In zwei Tagen werden wir es uns wieder ansehen«, sagte sie, aber als er leicht seitwärts geneigt davonhinkte und sein linkes Bein nachzog, wußte sie, daß weder zwei Tage noch zwanzig diese Verletzung heilen würden. Und sie bemerkte, daß hoch oben drei Geier ihn mit der gleichen unablässigen Aufmerksamkeit verfolgten, die er gezeigt hatte, wenn er einer verwundeten Antilope nachstellte.
Wann immer die Sippe weiterzog, blieb sie in seiner Nähe, und einmal, als ihn der große Schmerz übermannte und er sich auf die Lippen biß, um zu verhindern, daß ihm Tränen in die Augen traten, führte sie ihn zu einer abseits gelegenen Stelle, um auszuruhen. Dort erinnerten sie sich an die Zeit, als er ihrem Vater, diesem großen Jäger, seine Elenantilope gebracht hatte.
»Du warst sieben Jahre alt«, sagte Gumsto, »und du wußtest schon alles.«
»Meine Mutter hat die Gefahren der Wüste gemeistert.«
»Du warst ein gutes Kind.«
»Ich war stolz auf dich. Du warst größer und stärker als die Ehemänner der anderen Mädchen.«
»Es waren schöne Tage, Kharu, in jenen Gebieten rund um den See.«
»Aber das Wasser wurde schlecht. Das Wasser wird immer schlecht.«
»Die Nashörner, die Weißschwanzgnus, die Zebras.« Er zählte nochmals seine Triumphe auf aus den Tagen, als seine Sippe gut zu essen hatte. »Du warst ebenso klug wie mein Vater«, gab sie zu. Dann half sie ihm, ihre Gruppe auf dem Marsch nach Süden einzuholen, und als es klar wurde, daß er nie wieder die Jagd anführen konnte, sagte sie zu Gao: »Jetzt mußt du das Fleisch finden.«
Gumstos Unfall hatte eine unvorhergesehene Wirkung, die ihn zugleich erfreute und verblüffte. Als die Sippe acht Tage haltmachte, um ihre Straußeneier wieder aufzufüllen und ihm Zeit zu geben, sich zu erholen, verließ Gao schnell das Lager, um sich eine große, glatte Steinwand zu suchen, an der er mit wütender Energie arbeitete, solange es Tageslicht gab. Gumsto konnte von seinem Ruheplatz aus seinen Sohn sehen und erriet, daß er ein Denkmal für ein bedeutendes Tier schuf. Doch später, als Kharu ihm half, den Felsen zu erreichen, war er nicht auf das Wunder vorbereitet, das sich ihm darbot.
Gao hatte auf die breite Fläche nicht eine Elenantilope gemalt, sondern deren dreiunddreißig, jede einzelne so herrlich wie die, die er früher gezeichnet hatte. Sie waren aber mit solchem Ungestüm dargestellt, daß sie in wilder Jagd quer über die steinige Savanne zu stürmen schienen. Sie sprangen und zuckten, frohlockten und rannten auf unsichtbare Ziele zu, ein Gewirr von Hörnern und Hufen, das die Welt erstaunen würde, wenn es entdeckt wurde.
Aber es fehlte etwas, und Gumsto bemerkte es sofort: »Du hast sie nicht sorgfältig gefärbt.«
Er hatte recht. Gao hatte so fieberhaft gearbeitet, um seine Geschichte fertigzustellen, daß er schließlich einfach nur da und dort Farben hingekleckst und versucht hatte, einige der Tiere genau auszuarbeiten, während er sich damit begnügte, die Form von anderen nur anzudeuten. Das Ergebnis war ein Gewirr von Bewegung und Farbe, das jedoch der Gesamtkonzeption ein merkwürdiges Gleichgewicht und den Eindruck verlieh, als jagten wirklich Elenantilopen über den ewigen Felsen.
Warum war der Junge so nachlässig gewesen? Die Zeit drängte, aber er hätte zwei weitere Tage erbitten können. Die Farben waren wertvoll, und vielleicht war es ihm klar, daß er nicht genug davon haben würde, jedes einzelne der dreiunddreißig Tiere tadellos auszuführen. Er hätte aber einen anderen Jäger
Weitere Kostenlose Bücher