Verheißene Erde
noch nie an einer Jagd teilgenommen hatten, ahnten, daß sie siegen mußten oder sterben.
»Jetzt!« schrie Gumsto, und in einem plötzlichen Ansturm stürzten alle vorwärts, schrien wie verrückt, schwangen Keulen und schleuderten Steine, um die Löwen von ihrer Beute zu vertreiben.
Es war ein äußerst gefährliches Manöver, denn die Löwen hätten leicht einen, zwei oder drei der San töten können, aber als sie so viele mit so viel Lärm auf sich losstürzen sahen, erschraken die Tiere und begannen sich im Kreis zu bewegen. In diesem Augenblick sprang Gumsto direkt auf die Leittiere los und schlug mit seiner Keule auf sie ein.
Er hatte diese selbstmörderische Mission übernommen, weil das Fortbestehen seiner Sippe für ihn wichtiger war als sein eigenes Weiterleben. Doch in dem Augenblick, als alles in der Schwebe war - ein Mann allein gegen die Löwen -, wurde er durch das plötzliche Auftauchen Gaos an seiner Seite gerettet, der brüllend und schlagend die wütend fauchenden Löwen zum Rückzug zwang.
Als aber die Elenantilope von den San in Besitz genommen wurde, während ein Dutzend Hyänen erwartungsvoll kicherte, ergriff Kharu sofort die Initiative. Mit blutigen Händen durchstöberte sie die freiliegenden Eingeweide, bis sie den kostbarsten Teil des Kadavers fand, den Pansen, den Vormagen aller Wiederkäuer. Als sie spürte, wie schwer er war, verzog sich ihr altes Gesicht zu einem Lächeln. Denn dort hatte die tote Elenantilope Gras gesammelt, um es später zu verdauen -und zugleich eine große Menge Wasser, um es dabei aufzuweichen.
Kharu riß den Pansen auf und drückte das Gras aus, wobei sie genügend Flüssigkeit herausbekam, um ihre Eier zu füllen, und diese Flüssigkeit war merkwürdigerweise besser als Wasser, denn sie war stopfend, bitter und reinigend, und wenn sie an alle ein paar Tropfen verteilte, würde ihr Durst gestillt sein. Mit dieser Wunderflüssigkeit würde die Sippe überleben. Am Ende ihres fröhlichen Festmahls lagen die erschöpften Schlemmer mit aufgetriebenen Bäuchen schlafend rund um die tote Antilope; als sie wieder erwachten, hielt Kharu ihre Rede: »Da Gao die Elenantilopen gefunden und die Löwen vertrieben hat, laßt ihn uns zum Jäger erklären und ihm eine Frau als Preis zuerkennen. Naoka, tritt vor!«
Ein Mann, selbst ein hervorragender Jäger, widersprach mit Recht, daß Gao die Elenantilope nicht wirklich getötet, sich also auch nicht als Jäger qualifiziert habe; nun herrschte Bestürzung. Aber Kharu stieß ihren Mann heftig an, und
Gumsto stand auf. Er faßte seinen Sohn an der Hand, trat vor die Sippe und sagte stolz: »Ein Löwe ist ebenso bedeutend wie eine Elenantilope. Und dieser Junge verjagte vier Löwen, die im Begriff waren, mich zu töten. Er ist ein Jäger.« Und er legte mit Gefühlen, die ihn beinahe zerrissen, die Hand seines Sohnes in die Naokas.
»Ha!« schrie Kharu und machte einen Luftsprung. »Wir wollen tanzen.« Und während die Kalabassentrommel erklang und Hände den Rhythmus mitklatschten, wirbelten die kleinen Menschen jubelnd umher. Sie feierten ihren Sieg über die Löwen und die erfreuliche Nachricht, daß Naoka und Gao bald Kinder haben würden und so der Fortbestand der Sippe gesichert wäre. Sie gingen wieder und wieder im Kreis, riefen überlieferte Worte und stampften auf den Boden, um reinigenden Staub aufsteigen zu lassen. Sie tanzten die ganze Nacht, zeitweise fielen sie erschöpft zu Boden, aber selbst dann noch riefen sie orakelhafte Worte. Andere Antilopen würden erlegt werden, andere Quellen würden gefunden werden, um die Straußeneier wieder zu füllen, Kinder würden zu Männern werden, und ihre Wanderungen würden niemals enden. Sie waren Jäger und Sammler, ein Volk ohne Heim, ohne feste Verantwortung, ausgenommen die Konservierung von Nahrung und Wasser für den Tag der Gefahr. Und wenn die ihnen bestimmten Monate gekommen und gegangen waren, würden auch die Tänzer gehen, und andere würden diese öden Wüsten durchqueren und in den langen Nächten ihre Tänze tanzen.
Während Gumsto die Feiernden beobachtete, dachte er: Kharu hat recht, wie gewöhnlich. Die Jungen gehören zu den Jungen, die Alten zu den Alten. Alles hat seine Regeln. Und als er sah, wie seine Frau kraftvoll mit den Frauen tanzte, sprang er auf und schloß sich den Männern an. Kharu beobachtete ihn und sah, daß er ein wenig hinkte, aber sie sagte nichts. Die Festlichkeiten waren bald zu Ende, denn die Gruppe mußte in
sicherere
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