Verheißene Erde
mußte, das Kommando zu übernehmen. »Es läßt sich schwer denken, daß er die Jäger anführen wird. Oder daß Naoka die Käferlarven sammelt.« Kharu lächelte ihm zu. »Du bist jetzt ein alter Mann. Es wird Zeit, daß du deine albernen Träume aufgibst.« Sie trat zu ihm und ergriff seine Hand. »Wir haben in dieser Gruppe nie Not gelitten, solange du unser Führer warst. Unterrichte nun Gao, so zu sein wie du.«
Er nahm seinen Sohn beiseite und sagte entschlossen: »Wir sind dem Untergang geweiht, wenn wir nicht den Mut haben, kühne Schritte zu unternehmen. In den Hügeln dort im Westen gibt es Elenantilopen und Wasser. Dessen bin ich sicher. Aber dort gibt es auch Löwen. Bist du bereit?« Als Gao nickte, führte Gumsto den Zug nach Westen, wobei jeder durch Schlucke von Wasser aus Kharus letztem Ei gerade noch am Leben blieb. Während sie sich auf die Hügelkette zubewegten, wurden sie ständig beobachtet: Hoch oben am glühenden Himmel hielt ein Schwarm von Geiern, der ununterbrochen kreiste, ruhig Ausschau nach der kleinen Gruppe. Die Vögel verfolgten alles, was sich über die Wüste bewegte. Daß dieses verzweifelte, versprengte Häuflein Menschen sich würde retten können, schien fast unwahrscheinlich, und die Geier warteten, eine Verkörperung ihrer Ungeduld, am Himmel. An verschiedenen Stellen der Wüste wurden Hyänen munter; denn wenn die Geier in der Höhe blieben, mußte ein Lebewesen im Begriff sein zu sterben, und die Aasfresser kamen näher, im sicheren Bewußtsein, daß bald ein älterer Mensch zurückbleiben würde. Diesmal wurden sie von der alten Kharu genarrt, deren Falten so tief waren, daß nicht einmal Staub in sie eindringen konnte. Sie verteilte das letzte Wasser aus ihrem letzten Ei, dann ging sie weiter, entschlossen, ihre Leute vorwärtszuführen. Und sie war es auch, die als erste die Elenantilopen genau dort erblickte, wo ihr Mann es vorausgesagt hatte.
Es war eine enttäuschende Jagd. Vor Hunger und Durst dem Tode nah, mußte die kleine Gruppe hilflos zusehen, wie die Elenantilopen majestätisch aus einer Falle nach der anderen entwichen; die vereinte Geschicklichkeit von Gumsto und seinem Sohn wurde durch die Schlauheit der Tiere unwirksam gemacht. In der zweiten Nacht hörten die ermüdeten Männer ein drohendes Brüllen; lange Zeit sprach keiner, doch schließlich sagte Gao, der Tiere verstand, die schicksalsschweren Worte: »Wir müssen die Löwen
benutzen.«
Diese Strategie wurde gewöhnlich vermieden, denn sie brachte so viel Gefahr mit sich, daß keiner der Jäger sie anzuwenden wünschte; aber die alte Kharu, die sah, wie ihre Sippe sich auflöste, wollte die Männer verzweifelt ermutigen. Sie wußte, daß in Fragen der Jagd die Entscheidungen immer ihnen überlassen bleiben mußten; nichtsdestoweniger brach sie, als keiner ihren Sohn unterstützte, die alte Tradition, indem sie mitten unter die Jäger trat und entschlossen sagte: »Gao hat recht. Wir werden sterben, wenn wir nicht die Löwen benutzen.«
Gumsto blickte voller Stolz auf seine vom Wetter gegerbte alte Frau, denn er wußte, welchen Mut es erforderte, sich in diese Versammlung einzumischen. »Morgen werden wir die Löwen benutzen«, beschloß er. Diese nur im äußersten Notfall angewandte Taktik erforderte die gemeinsame Anstrengung aller, auch der Kinder, und die Wahrscheinlichkeit war groß, daß einer oder mehrere ihr Leben verlieren würden. Aber wenn das Fortbestehen der Sippe auf dem Spiel stand, gab es keine andere Möglichkeit.
»Wir gehen los«, sagte Gumsto ruhig. Seine kleine Gruppe verteilte sich halbmondförmig und schlich auf die Elenantilopen zu. Gao verließ die Gruppe, um sich zu vergewissern, wo die Löwen schlummerten. Als er ihre Lage signalisiert hatte, begann Gumsto und ein anderer Jäger, sich geräuschvoll zu bewegen, damit die Antilopen sie hörten und sich entfernten. Wie geplant, erblickten die großen Tiere sie tatsächlich, wurden nervös und rannten davon, direkt in die Klauen der gelbbraunen Bestien. Eine Löwin packte die größte Elenantilope an der Kehle, biß zu und riß sie zu Boden. Nun kam der Moment für Kühnheit und präzise Ausführung. Gumsto und Gao hielten ihre Leute versteckt, jeder einzelne griff nach Keulen oder Steinen für den heroischen Angriff. Sie sahen zu, wie die Löwen fraßen, und die Lippen auch des Mutigsten von ihnen wurden trocken; die Herzen der Frauen klopften rascher, denn sie wußten, was sie nun zu tun hatten; und Kinder, die
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