Verheißenes Land
wettmachen, damit die Fracht, die der Zweimaster an Bord genommen hatte, möglichst schnell den Händler in Savanna erreichte. Dort wartete auch schon eine ganze Schiffsladung Baumwolle darauf, von der Sarah Lee über den Ozean nach England gebracht zu werden.
Patrick saß zu dieser nächtlichen Stunde mit Samuel, einem baumlangen Schwarzen, auf dem Vorschiff des Zweimasters. In der kurzen Pause, die ihnen zwischen zwei Wachen zur Verfügung stand, gönnten sie sich eine Maiskolbenpfeife voll Tabak. Niemand vom Rest der Mannschaft hielt sich in ihrer Nähe auf, sodass sie keine Mithörer fürchten mussten.
Samuel war der Einzige an Bord, mit dem Patrick offen reden konnte. Denn sie teilten dasselbe Schicksal. Sie waren beide in einer Taverne im Hafen von New York betäubt und im Schutz der Dunkelheit an Bord des Schiffes gebracht worden. Schanghaien nannte man diese Methode, die in allen großen Häfen angewandt wurde, wenn ein Captain knapp an Seeleuten und skrupellos genug war, seine Mannschaft auf diese Weise zu vervollständigen.
Samuel war schon vor gut zweieinhalb Jahren an Kenworth verkauft worden und hatte sich offensichtlich mit seinem Los abgefunden. Patrick hingegen befand sich erst seit gut einer Woche in der Gewalt des Captains. Anders als Samuel war er jedoch nicht zufällig ein Opfer des Schanghaiens geworden. Das Flittchen Caitlin war schuld daran, dass er nun in dieser Lage war.
Sie hatte Patrick unter einem Vorwand in eine üble Hafentaverne gelockt und ihn mit Opiumbier betäubt. Patrick hatte keine Ahnung, weshalb Caitlin das getan hatte. Er hatte nie Streit mit ihr gehabt, geschweige denn ihr etwas Böses getan.
Und auch darüber, was danach geschehen war, konnte Patrick nur spekulieren. Wohl noch im Hinterhof der Taverne oder auf dem Weg zur Sarah Lee hatten ihn die Schurken ausgeraubt und ihm alles abgenommen, was von Wert gewesen war: den hellbraunen Überrock, seine rehfarbene Seidenweste, die goldene Kette mit der Taschenuhr, seine Seidenkrawatte, die weichen Stiefel und sogar den abknöpfbaren Hemdkragen. Nur Hemd und Hose hatten sie ihm gelassen und beiden Kleidungsstücken sah man nach dem tagelangen Sturm und dem vielen Seewasser, das sie immer wieder durchtränkt hatte, nicht mehr an, dass er sie erst vor Kurzem bei einem renommierten New Yorker Herrenausstatter erstanden hatte.
Als er mit dröhnendem Kopf aus seiner Betäubung erwacht war, hatte er sich jedenfalls an Bord der Sarah Lee wiedergefunden, die längst in New York abgelegt und sich bereits auf hoher See befunden hatte. Auf Patricks empörten Protest hin hatten die Seeleute nur dreckig gelacht. Als er allerdings darauf bestanden hatte, wieder an Land gebracht zu werden, hatte der Bootsmann nicht lange gezögert, ihn auf ein Gitterrost binden zu lassen und ihm eigenhändig mit der neunschwänzigen Peitsche ein Dutzend Hiebe zu verpassen. Damit hatte er klargestellt, dass Patrick von nun an zur Mannschaft gehörte und jedem Befehl von ihm und dem Captain unverzüglich Folge zu leisten hatte. Sogar jetzt, mehrere Tage nach der Auspeitschung, waren die Verletzungen kaum verheilt und schmerzten immer noch höllisch.
»Du hast also nicht nur studiert, sondern bist tatsächlich ein Schriftsteller und hast ein richtiges Buch geschrieben?«, fragte Samuel nun ungläubig. Patrick hatte ihm gerade ein wenig mehr von seinem bisherigen Leben erzählt.
Er nickte. »Ja, und endlich habe ich einen Verlag gefunden, der das Manuskript bald veröffentlichen wird«, bestätigte er stolz. »Aber ich weiß nicht, ob ich wirklich ein Schriftsteller bin. Noch kann ich nicht sagen, ob mehr als dieses eine Buch in mir steckt und mein Talent reicht, um darauf ein Leben aufzubauen.«
»Na ja, ein Leben auf See hat jedenfalls eine Menge Geschichten zu bieten, die du aufschreiben kannst!« Samuel grinste spöttisch.
»Ich habe aber nicht vor, so viel Zeit an Bord der Sarah Lee oder irgendeines anderen Schiffes zu verbringen, bis meine Erlebnisse ein zweites Buch ergeben«, wies Patrick den Vorschlag grimmig zurück.
Samuel lachte. »Wir werden sehen. Aber sag, wovon handelt dein Buch? Ist es eine spannende Abenteuergeschichte?«
»Nein, nicht wie das Seemannsgarn, das manche hier spinnen. Mein Buch erzählt eine wahre Geschichte, aber es ist deswegen nicht weniger aufregend. Es handelt von der entsetzlichen Hungersnot in meiner Heimat Irland, die schon über eine Million Tote gefordert hat. Es wird ›Der große Hunger‹ heißen und
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