Verheißung Der Nacht
vielleicht das kranke Tier oder der Unterdrückte war. Aber wenn es wirklich so war, dann war er noch gefährlicher für sie. Er würde nie ein Teil ihrer inneren Welt sein, selbst wenn sie es zuließe. Er würde diese innere Welt zum Einsturz bringen, anders ging es nicht. Dazu war er ausgebildet worden: zum Zerstören.
Es konnte durchaus sein, dass er ihr schon die größtmögliche Verletzung beigebracht hatte. Ganz unabsichtlich hatte er ihr bereits bewiesen, dass die Mauer ihrer inneren Welt durchbrochen werden konnte. Cammie hatte ihm den Zugang erlaubt, das stimmte, aber er hätte es ablehnen sollen, ablehnen müssen. Wenigstens besaß er noch genügend Integrität und Kraft, um leise zu verschwinden und die Tür hinter sich zu schließen.
Oder vielleicht tat er das ja auch nur aus einem Anflug von Selbstschutz. Er könnte es nicht ertragen, Cammie weh zu tun. Niemals würde er das wissentlich tun, aber die Dinge hatten ihre eigene Art, ob es nun seine Absicht war oder nicht. Das hatte er aus schmerzlicher Erfahrung gelernt.
Seine Frau war in vielen Dingen genau wie Cammie gewesen, oder wenigstens hatte er das einmal geglaubt. Sie hatte die gleiche, herrliche Haarfarbe, die gleichen Augen, auch wenn Joannas Augen mehr grün als braun gewesen waren. Doch was er bei seiner Frau als Feingefühl ausgelegt hatte, hatte sich schließlich als Ängstlichkeit herausgestellt. Ihre Anteilnahme und ihre liebevolle Zuwendung hatte sie nur dazu benutzt, Schuldgefühle in ihm zu wecken, weil er sich nicht mehr aus ihr machte. Und ihre Leidenschaft war nur gespielt gewesen, eine Tarnung für eine verzweifelte Gefühlsarmut.
Joanna war so auf ihre eigenen Gefühle konzentriert gewesen, auf ihre eigene, beschränkte Sicht dessen, wie eine Ehe zu sein hatte, dass sie Reid niemals auch nur im Ansatz verstanden hatte. Sie hatte einfach nicht begreifen können, was wirklich geschehen war, als er sie an diesem Morgen im Bad angegriffen hatte. Sie konnte nicht glauben, dass es nur das Resultat seiner animalischen Reflexe gewesen war, sie bestand darauf, dass er bewusst Gewalt gegen sie hatte anwenden wollen. Er könnte sie nicht lieben, behauptete sie, könnte nicht wirklich wollen, dass sie verheiratet blieben, wenn er sie so verletzen konnte.
Vielleicht hatte sie sogar recht gehabt, er wusste es nicht. Wenn sie fähig gewesen wäre, ihm zu vergeben, dann hätte er mit ihr gelebt und sein Bestes getan, ihnen ein gemeinsames Leben zu ermöglichen. Doch so war es nicht gekommen. Und als sie weg war, als die Scheidung ausgesprochen war und ihre Habseligkeiten nicht mehr überall verstreut lagen, hatte Reid sich der Erleichterung geschämt, die er gefühlt hatte. Wie es schien war Joanna nicht die einzige gewesen, die bereit gewesen war, einen Ersatz für Liebe und ein normales Leben zu akzeptieren.
Er fragte sich, was Cammie wohl an Joannas Stelle getan hätte. Er stellte sich diese Frage, aber auf keinen Fall wollte er die Antwort darauf wirklich herausfinden. Es wäre viel zu gefährlich, für sie beide.
Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihr jemand so nahe kommen könnte, um für sie eine Bedrohung zu bedeuten. Auch nicht ihr Mann, ganz besonders nicht ihr Mann.
Sie brauchte jemanden, der sie beschützte. Jemanden, der sie aus der Entfernung beobachtete - aus einer großen Entfernung - und der dafür sorgte, dass ihr kein Leid mehr geschah.
Er hatte nichts Besseres zu tun.
Draußen war von Keith Hutton nichts zu sehen. Reid war nicht überrascht. Weder Cammies Mann noch sein Landrover waren zu sehen gewesen, als er nach draußen in den Regen gegangen war, um Cammies Brieftasche und den Revolver aus seinem Wagen zu holen.
Das hatte er ihr natürlich nicht verraten. Er hätte es ihr sagen müssen, er hätte es ihr sicher auch gesagt, wenn er geahnt hätte, dass es wichtig war. Er war so sicher gewesen, dass nichts ihn davon abbringen könnte, gegen sein besseres Wissen zu handeln, doch er war nicht auf einen Frontalangriff vorbereitet gewesen.
Er war nicht stolz auf seine Kapitulation, ganz gleich, was für Gründe es dafür gegeben hatte. Doch er bedauerte sie auch nicht.
Eine knappe halbe Stunde nachdem er das Fort erreicht hatte, schlich Reid schon wieder durch die feuchten Wälder, lief die wenigen Meilen, die das alte Holzhaus von dem Greenley-Anwesen trennte. Wasser tropfte von den Bäumen, und die Bäche und Rinnsale, die er überquerte, waren vom Regen angeschwollen, doch schaffte er die Entfernung in
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