Verheißung Der Nacht
kurzer Zeit. Das war nicht schwer, denn er kannte jeden Hügel, jede Schlucht, jede Fichte und jeden umgestürzten Baumstamm auf seinem Weg, schon seit er zehn Jahre alt gewesen war und Camilla Greenley zum ersten Mal bewusst bemerkt hatte.
Es war dumm gewesen, sich anzuschleichen, sich im Wald zu verstecken und das Haus zu beobachten, in der Hoffnung, einen Schimmer von ihr zu entdecken. Neun lange Jahre hatte er sie bewacht, neunjahre, in denen sie nicht einmal bemerkt hatte, dass es ihn überhaupt gab.
Einmal hatte Reid sie am Fenster ihres Schlafzimmers gesehen, in einem duftigen, kurzen Babydoll. Wochenlang hatte er die Erinnerung daran mit sich herumgetragen. Hoffnungslos. Doch selbst jetzt noch ließ ihn die Erinnerung daran lächeln.
Man konnte einem Jungen viel nachsehen, der sich das hübscheste Mädchen in der ganzen Schule in den Kopf gesetzt hatte. Doch bei einem erwachsenen Mann würde das Urteil nicht so milde ausfallen. Er musste vorsichtig sein.
Das würde er auch, obwohl es ihm nichts ausmachte, was die anderen über ihn dachten. Der einzige Mensch, der das Recht hatte, seine Motive zu hinterfragen, war Cammie selbst, und ausgerechnet sie würde nie davon erfahren.
Seine Gedanken beschäftigten ihn so sehr, dass er an Cammies Haus angelangt war, beinahe ohne es zu bemerken. Alles war ruhig und gestaltlos in dem Dämmerschein, der sich gerade erst von Schwarz zu Grau wandelte. Er sah den Schein des Lichts auf der anderen Seite des Hauses, doch die Fenster waren noch alle dunkel.
Sein Blick schweifte zu dem Fenster des Gästezimmers. Er dachte daran, dass Cammie dort lag, wo er sie verlassen hatte, weich und warm in ihrer Nacktheit. Der Schmerz, den er in sich verborgen trug, erwachte bei diesem Gedanken sofort zu neuem Leben. Er unterdrückte ihn, wie er es schon zuvor getan hatte, so heftig, wie er beinahe jede sanftere Gefühlsregung in den letzten zwölf Jahren unterdrückt hatte.
Was würde sie fühlen, wenn sie aufwachte und feststellte, dass er gegangen war? Vielleicht war sie böse, vielleicht fühlte sie sich auch hintergangen. Oder sie war erleichtert. Es war sogar möglich, dass sie froh darüber war. Reid fragte sich, ob er das je wissen würde, es schien ihm plötzlich unerträglich, dass er es nicht herausfinden konnte.
Ein Schatten bewegte sich in der Dunkelheit direkt am Haus entlang. Reid beobachtete die Stelle, all seine Sinne waren zum Zerreißen gespannt. Diese Bewegung hatte nichts Natürliches, es war kein Spiel des Lichts, kein Schatten eines Baumes, der sich im Wind bewegte, und auch kein Busch, der sich unter dem Anflug eines Vogels bog.
Die dunkle Gestalt war ein Mann. Und er machte sich an den Fenstern zu schaffen.
Ein unhörbares Summen vibrierte in Reids Brust. Er hatte mit seinem Gefühl recht behalten.
Lautlos bewegte er sich aus dem Schatten der Bäume, in einem großen Bogen ging er um den Schatten herum. Während er dem Mann leise folgte, fühlte er, wie eine heiße Wut in ihm aufstieg, als er daran dachte, dass Keith vielleicht versuchte, in das Haus einzubrechen. Welches Recht besaß er überhaupt, sich in ihre Nähe zu wagen?
Das Recht des Ehemannes, der er noch eine Woche oder etwas mehr sein würde. Das war ein unangenehmer Gedanke, unangenehm und gleichzeitig unvermeidlich.
Verbissen machte Reid sich an die Verfolgung des Mannes. Gleichzeitig jedoch war er verwirrt. Er war so sicher gewesen, dass Keith schon seit langer Zeit verschwunden war; er hätte schwören können, dass er den Motor des Landrovers gehört hatte, gleich nachdem Cammie ihn auf der Veranda ge küss t hatte. Einer der Gründe, warum er sich aus dem Haus geschlichen hatte, solange Cammie noch schlief, war, um sicherzugehen. Aber warum sollte Keith jetzt wie ein Einbrecher versuchen, sich ins Haus zu schleichen? War er verärgert darüber, dass Cammie sich mit einem anderen Mann eingelassen hatte?
Hier schien es um mehr zu gehen als nur um die Aufmerksamkeit eines abgewiesenen Ehemannes. Reid war entschlossen, genau herauszufinden, was es war. Doch um das zu erreichen, musste er Keith schnappen und ihn nicht verscheuchen.
Der Mann verschwand um die Ecke des Hauses, in Richtung auf die Hintertür. Reid lief los.
Im Haus flackerte sekundenlang ein schwaches Licht auf, dann war es wieder dunkel. Anscheinend war Cammie von einem Geräusch des Einbrechers aufgeweckt worden und hatte eine Taschenlampe gefunden. Reid bereitete sich schon auf ihren Schrei vor.
Das laute Krachen eines
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