Verhext: Roman (German Edition)
ein Toupet trug, das sich auch prompt einige Zentimeter über seinen Kopf erhob.
Nell entwirrte die Machtströme und ließ das Toupet des Mannes wieder auf seinen Platz sinken. Dieser verflixte Bengel war wirklich gut darin, spontan zu zaubern. Mit einem schnellen Blick vergewisserte sie sich, dass unter den Wartenden in der Ankunftshalle niemandem sonst die Haare zu Berge standen. Naja, vielleicht dem Teenager mit den pinkfarbenen Haaren, aber das sah eher aus, als wäre es Absicht.
»Aervyn, ich weiß, dass du dich langweilst, Süßer, aber du kannst hier nicht einfach so zaubern. Menschen sind keine Spielzeuge. Onkel Jamies Flug hat ein wenig Verspätung, aber es dauert nicht mehr lange.«
»Ich könnte sein Flugzeug schneller machen, Mama.«
Nell hoffte inständig, dass das nicht stimmte. Macht wuchs auf dieselbe Art wie Kinder, in plötzlichen Schüben, die einen ganz unvorbereitet treffen konnten. Angesichts von Aervyns Appetit in der letzten Zeit stand offenbar ein solcher Wachstumsschub bevor. Sie hoffte, dass es ein körperlicher Entwicklungssprung sein würde. Neue Hosen zu kaufen war leichter, als all die Dinge zu ersetzen, die neuen magischen Fähigkeiten zum Opfer fielen.
Sie kniete sich hin und zog Aervyn an sich. »Du darfst nie aus den Augen verlieren, was mit der restlichen Energie passiert, wenn du viel Magie wirkst. Ein Flugzeug anzuschieben verlangt wirklich viel Magie. Das sind Zaubereien, die du sehr sorgfältig durchdenken musst, mit jemandem zusammen, der dir dabei hilft.«
»Ich könnte den Wind nutzen. Ich bin gut in kleinen Stürmen. Ich könnte einen Sturm machen, der nur ein bisschen größer ist als Onkel Jamies Flugzeug.«
»Das wäre aber ein ganz schön unruhiger Flug für ihn.«
Aervyns Schmollmund wich einer nachdenklichen Miene. »Onkel Jamie würde das wahrscheinlich gefallen, aber der hübschen Frau vielleicht nicht. Oder der neuen Hexe. Ich will ja nicht, dass ihnen schlecht wird, dann kotzen sie vielleicht auf Onkel Jamie.«
Nell konnte froh sein, dass er Kotzen mittlerweile für keine gute Sache hielt. Die moralischen Grundsätze eines
vierjährigen Hexenkindes waren, gelinde ausgedrückt, ausbaufähig. Sie erinnerte sich noch sehr genau an den Furzzauber, mit dem Nathan vor ein paar Jahren seine Schwestern belegt hatte.
Aervyns Blick wurde einen Augenblick lang verschwommen. »Er kann jetzt den Flughafen sehen, Mama. Die neue Hexe schläft, aber er wird sie gleich aufwecken.«
»Weiß er, dass du in seinem Kopf bist, mein lieber Sohn?«
Das Augenrollen musste er von seinen Schwestern gelernt haben. »Ja, Mama. Ich habe höflich geklopft, und er hat mir aufgemacht. Ich soll dir ausrichten, dass sein Gerät funktioniert und Lauren den Flug gut überstanden hat. Mama, was ist das für ein Gerät?«
»Onkel Jamie hat seinen iPod mit einem Zauber so programmiert, dass er Barrieren für Lauren baut. Du weißt doch noch, dass ich dir gesagt habe, dass sie eine Mentalhexe ist? So wie du.«
»Warum macht sie dann nicht ihre eigenen Barrieren?«
»Sie ist Anfängerin und muss erst lernen, wie das geht. Wenn man anfängt, ist so etwas an Orten, wo viele Leute sind, wie zum Beispiel Flughäfen und Flugzeuge, nicht einfach, deswegen hilft Onkel Jamie ihr.«
»Wie kann sie denn eine Anfängerin sein? Sie ist doch erwachsen – ich hab sie gesehen.«
»Nicht jeder weiß von Geburt an, dass er Hexenkräfte hat, Schatz. Sie hat es erst vor ein paar Tagen erfahren.«
Aervyns Stirn wurde kraus. »Warum hat es ihr keine der anderen Hexen gesagt?«
»Vielleicht hat sie noch nie eine andere Hexe getroffen.
Ihre Familie ist anders als unsere. Sie kennt keine anderen Hexen.«
»Jetzt wird sie aber einige kennenlernen. Kommt sie deswegen zu Besuch? Um uns kennenzulernen?« Aervyn wollte noch etwas anderes fragen, drehte sich dann aber zum Ankunftsgate um. »Sie kommen, Mama. Jamie muss nur erst noch die hübsche Frau küssen.«
Wenn du schon einen Vierjährigen in deinen Kopf lässt, kleiner Bruder, dann sorg wenigstens für ein jugendfreies Programm. Nell hatte Lust, Aervyn zu bitten, sie selbst in Jamies Gedanken einzuklinken, aber Neugier war dafür kein hinreichender Grund, vor allem, wenn man ein Vorbild für gute Hexenmanieren geben wollte. Sie würde Jamie später beiseitenehmen. Manchmal war schwesterliche Überzeugungskraft wirksamer als Magie.
Sie sah Jamies dunklen Schopf über einer Reihe von Passagieren durch den Ausgang schweben und nahm Aervyns Hand. »Warte
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