Verhext
»Ich verstehe.«
»Die Leute denken, Zoe und ich seien befreundet, mehr nicht. Auf diese Weise haben wir auch eine gute Entschuldigung dafür, daß wir regelmäßige Kontakte pflegen.«
Marcus stellte im Geiste eine Liste der Menschen auf, die in seinen Kreisen verkehrten. Sein Gedächtnis war hervorragend. Und er war sich sicher, daß er Zoe, Lady Guthrie, noch niemals begegnet war. »Ich glaube, ich erinnere mich daran, daß ein gewisser Lord Guthrie Mitglied in ein, zwei meiner Clubs war. Ich glaube, er starb vor ungefähr einem Jahr.«
»Tante Zoe ist Guthries Witwe.«
»Ich glaube nicht, daß ich bereits das Vergnügen hatte, ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Nein. Das ist ja das Seltsame an der ganzen Sache«, beeilte Iphiginia sich zu sagen. »Tante Zoe sagte, Sie beide wären sich niemals begegnet. Sie hat Sie zwar hin und wieder auf irgendwelchen Festen und Bällen gesehen, und Guthrie hat Ihren Namen einmal beiläufig erwähnt, aber das ist auch schon alles.«
»Und trotzdem behauptet Ihr Erpresser, daß wir beide auf seiner Liste stehen?«
»Ja. Recht eigenartig, finden Sie nicht?«
»Ich finde die ganze Situation recht eigenartig.«
»Mylord, ich schwöre Ihnen, daß das Ganze kein Scherz ist. Es gibt diesen Erpresser wirklich, und er bedroht meine Tante. Ich kam zu dem Schluß, daß es irgendeine Verbindung zwischen Ihrem Bekanntenkreis und dem meiner Tante geben muß.«
»Sie vergessen etwas, Mrs. Bright«, sagte Marcus mit ruhiger Stimme. »Ich werde nicht erpreßt.«
Sie runzelte die Stirn. »Sind Sie sich da ganz sicher, Mylord?«
»Das ist wohl kaum etwas, was man so einfach vergessen würde.«
Iphiginia preßte die Lippen aufeinander. »Nein, ich nehme an, da haben Sie recht. Aber warum hat der Erpresser von Ihnen gesprochen, als er meine Tante bedrohte?«
Marcus blickte hinaus auf das rege Treiben in der dunklen Straße. »Wenn er von mir gesprochen hat, dann offensichtlich, um Ihrer Tante angst zu machen, damit sie bezahlt.«
»Er hat wirklich von Ihnen gesprochen, Sir«, betonte Iphiginia noch einmal.
»Sagen Sie, wie weit sind Sie mit Ihren Nachforschungen bisher gekommen?«
»Nun, was das betrifft, bin ich bisher recht gut vorangekommen«, sagte sie eifrig. »Es ist mir bereits gelungen, die Arbeitszimmer von Mr. Darrow und Lord Judson zu durchsuchen.«
»Sie haben was getan?«
Sie legte den Kopf schräg und sah ihn fragend an. »Ich sagte, daß ich die Gelegenheit hatte, die Arbeitszimmer von Darrow und Jodson zu durchsuchen. Ich war in ihren Häusern jeweils zu einer Soiree eingeladen, und es ist mir bei beiden gelungen, im Verlauf des Abends in ihre Arbeitszimmer zu schleichen und ihre Schreibtische zu durchsuchen.«
Sie meinte es wirklich ernst. »Verdammt, Frau, sind Sie denn vollkommen wahnsinnig? Ich glaube es einfach nicht. Was für einen Grund gibt es, bitte schön, die Arbeitszimmer der beiden zu durchsuchen? Was hatten Sie denn gehofft, dort zu finden?«
»Schwarzes Wachs und ein Siegel mit einem Phönix«, sagte sie in barschem Ton. »Diese beiden Dinge wurden für die Erpresserbriefe verwendet, die Tante Zoe erhalten hat.«
»Verdammt.« Marcus war viel zu verblüfft über ihre Verwegenheit, als daß er hätte klar denken können. Doch schließlich riß er sich zusammen. »Schwarzes Siegelwachs ist durchaus nichts Ungewöhnliches. Ich selbst habe welches.«
»Ich weiß, aber Sie selbst sind ein ungewöhnlicher Mensch, sonst würden Sie so etwas nicht für Ihre normale Korrespondenz verwenden. Die meisten Menschen benutzen schwarzes Wachs nur für Todesanzeigen oder Kondolenzschreiben. Und Sie müssen zugeben, daß ein Siegel mit einem Phönix ebenfalls ungewöhnlich ist. In der
Tat ist es schon höchst eigenartig, daß überhaupt ein Siegel verwendet wurde. Man sollte meinen, daß ein gewöhnlicher Erpresser seine Briefe einfach mit einem Tropfen Wachs verschließt.«
»Gibt es so etwas wie einen gewöhnlichen Erpresser?«
»Ich meine es ernst, Sir. Schwarzes Wachs und ein Siegel mit einem Phönix sind viel zu belastende Beweismaterialien gegen einen Erpresser.«
»Also haben Sie nach den beiden Dingen gesucht?« Er konnte es immer noch nicht glauben. Die Lady log, das hatte er von Anfang an vermutet. Das war die einzige Erklärung.
Und er hatte sich immer eingebildet, er selbst sei ein guter Lügner, dachte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. Von Iphiginia Bright konnte er noch eine Menge lernen.
»Unglücklicherweise hatte ich bisher nicht die
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