Verhext
Allmählich fange ich an zu verstehen, was die Leute damit meinen. Obwohl ich mich ausführlich mit Ihrer Natur beschäftigt habe, muß ich feststellen, daß es noch eine Menge Dinge gibt, die ich nicht weiß.«
»Ich nehme an, dafür sollte ich dankbar sein«, murmelte er.
»Es besteht keinerlei Notwendigkeit, sarkastisch zu werden«, sagte sie in gekränktem Ton.
Der goldene Schein der Kutschenlampen fiel auf ihr Gesicht und verriet Marcus, daß sie wirklich nervös war, obgleich sie ihre Gefühle bemerkenswert zu verbergen wußte.
Iphiginia saß kerzengerade auf ihrem Platz. Ihre riesigen meergrünen Augen wanderten regelmäßig zum Fenster. Marcus hatte den
Verdacht, daß sie heimlich die Umgebung überprüfte, um sicherzugehen, daß er sie wirklich auf direktem Weg nach Hause brachte. Ihren weißen Fächer hielt sie fest umklammert.
Es freute Marcus, daß Iphiginia nicht annähernd so kühl und gefaßt war, wie sie sich ihm gegenüber gab. Er weigerte sich, auch nur das geringste Mitgefühl zu empfinden. Wenn man bedachte, was er ihretwegen zu Beginn des Abends durchgemacht hatte und was er bestimmt noch durchmachen würde, hatte sie es verdient, ein wenig zu leiden. Sie hatte dafür gesorgt, daß sie beide morgen früh an sämtlichen Frühstückstischen und morgen nachmittag in sämtlichen Clubs in St.James Gesprächsthema Nummer eins sein würden.
»Ich muß Ihnen nochmals gratulieren, Mrs. Bright.« Marcus deutete eine spöttische Verbeugung an. »Nicht jeder Frau wäre es gelungen, die Leute dazu zu bringen, sie für meine neueste Mätresse zu halten.«
Sie biß sich auf die Lippe. »Vielen Dank.«
»In der Tat, eine faszinierende Leistung.«
Nie würde er den Augenblick vergessen, in dem er sie im Ballsaal der Fenwicks zum ersten Mal gesehen hatte. Es war Iphiginia gelungen, dafür zu sorgen, daß alle anderen Frauen im Raum entweder zu vornehm, zu schlicht oder zu schrill gekleidet wirkten. Marcus konnte nicht genau sagen, warum sie so richtig aussah, aber er war alt genug, um eine Frau mit einem angeborenen künstlerischen Gespür für Stil zu erkennen. Es hatte nichts mit ihrem Kleid oder den Accessoires zu tun. Es lag daran, wie sie die Dinge trug.
»Es war eine brillante Idee, sich in jungfräulichem Weiß zu kleiden«, fuhr er fort. »Schockierend, aber brillant.«
Sie zögerte, als wisse sie nicht genau, ob er sich über sie lustig machte. Doch dann setzte sie ein strahlendes Lächeln auf. »Einer der Gründe, weswegen ich Weiß gewählt habe, war, daß es hieß, Sie selbst bevorzugen Schwarz.« Mit ihrer behandschuhten Hand wies sie auf die eleganten schwarzen Kutschenwände mit den Ebenholzbeschlägen. »Wie ich sehe, stimmten die Gerüchte.«
»Sie sind also davon ausgegangen, daß ich mich von diesem Gegensatz angezogen fühlen würde?«
Iphiginia dachte darüber nach. »Ich selbst halte nicht viel von dieser Theorie. Ich meine, daß sich Menschen zueinander hingezogen fühlen, die einander ähnlich sind. Aber ich wußte, daß die Leute das Gegenteil glauben. Die meisten Menschen denken, daß sich Gegensätze anziehen.«
»Und schließlich ging es nur darum, die Leute zu überzeugen.«
»Tante Zoe hatte Angst, daß mein Plan nicht funktionieren würde, aber ich habe ihr versichert, daß er unsere einzige Hoffnung sei.«
»Ah, ja. Ihr Plan, einen Erpresser zu fangen. Den hätte ich beinahe schon wieder vergessen.«
Sie sah ihn böse an. »Sie glauben mir kein Wort, nicht wahr, Sir? Ich wußte, daß Sie hochintelligent sind, und die Leute haben mir versichert, daß Sie sich eine Menge darauf einbilden, aber ich wußte nicht, daß Sie obendrein so stur sind.«
Er zog es vor, diese Bemerkung zu ignorieren. »Erzählen Sie mir von Ihrer Tante Zoe.«
»Was wollen Sie wissen?«
»Es gibt eine ganze Reihe von Zoes in unseren Kreisen. Welche von ihnen ist Ihre Tante?«
Iphiginia runzelte die Stirn. »Lady Guthrie. Aber ich warne Sie. Wir haben unsere Verwandtschaft geheimgehalten. Ich dachte, es sei besser, wenn niemand etwas davon weiß. Wissen Sie, wenn die Leute wüßten, daß ich ihre Nichte bin, könnte das zu viele Fragen bezüglich meiner Person aufwerfen.«
»Natürlich«, murmelte Marcus. »Niemand durfte wissen, wer Sie in Wirklichkeit sind.«
»Jawohl, Sir. Eine Frage hätte zur anderen geführt, und unter Umständen wäre ich aufgeflogen, ehe ich mein Ziel erreicht hätte. Zumindest hätte der Erpresser vielleicht herausgefunden, daß ich gar nicht Ihre Mätresse bin.«
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