Verhext
sie freundlich. »Dies ist zweifellos eine der interessantesten Unterhaltungen, die ich jemals geführt habe. Trotzdem ist es inzwischen recht spät, und ich finde, wir sollten uns zu einem anderen Zeitpunkt mit dieser Angelegenheit befassen.«
»Sie meinen, wenn Sie sich erholt haben?«
»So könnte man es auch sagen. Lassen Sie uns in unsere Schlafzimmer gehen, Madam. Ich muß noch über etwas nachdenken.« Er nahm ihren Arm und wandte sich zur Tür.
»Marcus.« Sie klammerte sich an seinem Ärmel fest. »Versprechen Sie mir, daß Sie niemandem erzählen werden, daß ich nicht wirklich Ihre Mätresse bin.«
»Beruhige dich, Iphiginia.« Marcus öffnete die Tür und schob sie vor sich in die dunkle Eingangshalle. »Wie wir bereits festgestellt haben, entspricht deine kleine Geschichte schließlich inzwischen der Wahrheit. Es gibt also kein Geheimnis mehr, das ich wahren müßte. Heute nacht habe ich dich wirklich zu meiner Mätresse gemacht.«
Sie sah ihn zweifelnd an. »Und Sie werden auch niemandem erzählen, daß ich keine Witwe bin?«
»Glaub mir, ich habe genauso wenig Interesse wie du daran, daß die Leute die Wahrheit erfahren.«
»Ja, natürlich.« Sie schien sich ein wenig zu entspannen. »Sie würden nicht wollen, daß jemand erfährt, daß Sie eine Ihrer goldenen Regeln durchbrochen haben, nicht wahr?«
»Nein«, sagte Marcus. »Die Sache ist so schon unangenehm genug.«
»Was soll das heißen?«
»Das erkläre ich Ihnen irgendwann später, Miss Bright.«
»Mrs. Bright«, verbesserte sie eilig. »Wir müssen die Maskerade auch unter vier Augen aufrechterhalten, sonst versprechen wir uns vielleicht einmal, wenn andere dabei sind.«
»Bitte entschuldigen Sie, Mrs. Bright.«
Marcus stützte sich auf den Fenstersims in seinem Schlafzimmer und blickte hinauf zu den Sternen.
Er hatte niemals daran gedacht, noch einmal zu heiraten.
Das hieße, einen zweiten seiner eisernen Grundsätze zu mißachten. Doch heute nacht schien er nicht vernünftig über dieses Thema nachdenken zu können. Immer noch spürte er Iphiginias Weichheit, roch er ihren Duft.
Das einzige, was er deutlich vor Augen hatte, war die Erinnerung an Iphiginia, wie sie sich besorgt über ihn gebeugt hatte in der Angst,
ihn durch ihre Jungfräulichkeit irgendwie ermordet zu haben. Ihre Worte hallten immer noch in seinen Ohren.
Ich liebe dich, Marcus.
Natürlich war sie vollkommen hysterisch gewesen bei dem Gedanken, ihn unabsichtlich umgebracht zu haben. Das war der einzige Grund, weshalb sie so etwas gesagt hatte.
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen wandte sich Lady Pettigrew mit ehrlichem Bedauern an ihre beiden Gäste. »Ich wünschte, Sie beide könnten noch ein, zwei Tage bleiben. Ihr Besuch hat uns wirklich gefreut, nicht wahr, George?«
»Ganz nett«, murmelte Pettigrew. Es fiel ihm schwer, seine Erleichterung darüber zu verbergen, daß wenigstens zwei der unwillkommenen Eindringlinge wieder verschwanden.
Lady Pettigrew wandte sich an Iphiginia, die auf der Vordertreppe darauf wartete, daß Marcus’ schwarzer Zweispänner vorgefahren wurde. »Mrs. Bright, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich bin zu erfahren, daß mein Vestatempel dem Original entspricht. Ich danke Ihnen dafür, daß Sie sich die Zeit genommen haben, ihn zu begutachten.«
»Gern geschehen.« Iphiginia konnte Marcus, der neben ihr stand, einfach nicht ignorieren. Seine Ungeduld war nicht zu übersehen.
»Sie meinen also, die Ruine ist vollkommen fehlerlos?« drängte Lady Pettigrew.
»Ja«, murmelte Iphiginia. Sie spürte Marcus’ lakonischen Blick.
»Sie ist bis ins letzte Detail hinein erstaunlich akkurat«, sagte Marcus. »Ich habe sie gestern abend noch besichtigt. Mit ein wenig Phantasie könnte man sich glatt einbilden, es gebe dort noch eine echte Tempeljungfrau.«
Lady Pettigrew strahlte vor Stolz. »Wirklich?«
»Das ist wohl eher unwahrscheinlich«, murmelte Pettigrew. »Sie wollen mir doch wohl nicht weismachen, Sie hätten auch nur das geringste Interesse gehabt, selbst wenn eine aufgetaucht wäre. Alle
Welt weiß, daß es einer Ihrer Grundsätze ist, sich niemals mit Jungfrauen einzulassen.«
Iphiginia bedachte ihn mit einem bösen Blick. »Was mich betrifft, so sind manche Regeln dazu da, gebrochen zu werden.«
Kapitel elf
Am nächsten Morgen wurde Barclay in die Bibliothek von Marcus’ Stadthaus geführt. Mit einem müden Seufzer nahm er Platz, rückte seine Brille zurecht und zog mehrere Blatt Papier aus
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