Verhext
Arzt brauchen. Sie haben irgendeine Art von Anfall erlitten.«
»Wie dem auch sei, ich glaube, ich werde es überleben. Ich gratuliere Ihnen, Miss Bright.« Marcus verzog angewidert das Gesicht. »Sie haben die Fähigkeit, einem sechsunddreißigjährigen Mann das Gefühl zu geben, noch einmal ein junger Bursche von zwanzig zu sein.«
Sie sah ihn vorsichtig an. Ihre Fingerspitzen strichen überraschend sanft über seine Wange. »Sind Sie sicher, daß Sie keinen Arzt brauchen?«
»Vollkommen sicher. Aber wahrscheinlich brauche ich einen neuen Mantel.« Er dachte daran, wie er sich schändlich in den edlen Stoff einer der teuren Kreationen seines Schneiders ergossen hatte. »Ich weiß nicht, ob mein Kammerdiener den hier noch retten kann.«
»Ich werde Ihnen einen neuen Mantel bezahlen«, sagte Iphiginia mit ernster Stimme. »Die ganze Sache ist allein meine Schuld. Das ist mir durchaus bewußt, Mylord.«
Marcus unterdrückte nur mit Mühe einen Fluch. »Ich hätte mir denken müssen, daß du in der Rolle des empörten, unschuldigen jungen Mädchens ein ebensolches Original sein würdest wie in der Rolle der erfahrenen Witwe.«
»Aber Marcus, ich bin nicht empört. Und genausowenig bin ich ein junges Mädchen, das eben erst der Schulbank entsprungen ist. Ich bin alt genug, um meine eigenen Entscheidungen zu treffen.«
»Du warst noch Jungfrau.« Marcus setzte sich schwankend auf. »Ich lasse mich niemals mit Jungfrauen ein. Das ist einer meiner Grundsätze. Und ich habe mich bis heute abend daran gehalten.«
»Sie müssen es von der positiven Seite her betrachten, Mylord.« Iphiginia bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln. »Jetzt bin ich keine Jungfrau mehr, so daß Sie Ihrem Grundsatz in Zukunft treu bleiben können.«
Zorn flackerte in ihm auf. »Verdammt, Frau, dies ist kein Spaß. Ich schwöre, es gibt Augenblicke, in denen dein Mundwerk jeden Mann an den Rand des Wahnsinns treibt. Wenn ich dich nicht eben gerade entjungfert hätte, wäre ich wirklich versucht, dich für diese dämliche Bemerkung übers Knie zu legen.«
Iphiginias Lächeln schwand. »Sir, ich verstehe, daß Sie wütend sind, weil Sie einem Ihrer wertvollen Grundsätze untreu geworden sind. Aber wirklich, Sie dürfen sich deswegen keine Vorwürfe machen.«
Marcus konzentrierte sich darauf, seine Hose zu schließen. »Eine Jungfrau, die sich als Witwe ausgibt.« Er hatte das Gefühl, als habe sich sein Hirn in Brei verwandelt. »Ich hätte es wissen müssen.«
»Das ist doch lächerlich. Woher hätten Sie es denn bitte wissen sollen?«
Marcus erhob sich und blickte auf Iphiginia hinab. Einen Augenblick lang war er wie gelähmt von ihrem Anblick, wie sie inmitten der Ruine saß, eingetaucht in das silbrige Licht des Mondes. Ihre weißen Röcke schäumten um ihren Körper, und sie preßte das Oberteil ihres Kleides vor ihre herrlichen Brüste. Ihr Haar war zerwühlt, und sie hatte einen ihrer kleinen weißen Schuhe verloren. Immer noch war sie eingehüllt in eine Aura der Unschuld, genau wie beim ersten Mal, als er sie gesehen hatte.
»Ich glaube, ich wußte es«, sagte er leise. »Aber ich habe mich geweigert, die Wahrheit zu erkennen, weil ich sie nicht sehen wollte.«
Iphiginia runzelte die Stirn. »Sind Sie immer so hart gegen sich selbst, wenn Sie eine Ihrer Regeln brechen, Sir?«
»Ich weiß nicht.« Marcus bückte sich, um sie auf die Füße zu ziehen. »Dies ist das erste Mal, daß ich eine gebrochen habe. Komm.«
»Wohin gehen wir?«
»Zurück zum Haus.« Marcus half Iphiginia, die Bänder ihres Kleides zu schließen. »Aber wir müssen aufpassen, daß uns niemand sieht.«
»Warum sollten wir aufpassen, Mylord?« Iphiginia warf ihm einen wütenden Blick zu. »In den Augen der Leute hat sich nichts verändert. Alle Welt ist der Überzeugung, daß ich eine Witwe bin, und sie alle glauben, daß ich Ihre Mätresse bin. Es ist vollkommen unmöglich, daß irgend jemand die Wahrheit kennt.«
»Ich kenne sie.« Die Wahrheit war, daß er eine seiner eisernen Regeln durchbrochen hatte, und dafür würde er bezahlen.
Nun, die Ehe mit Iphiginia wäre zumindest eine gewisse Abwechslung, dachte er voll Selbstironie. Seine erste Frau war durchaus erfahren gewesen, hatte aber die Rolle der Unschuld vom Lande gespielt. Dieses Mal würde er eine unschuldige junge Person heiraten, die sich als Frau von Welt ausgab.
Er sollte Iphiginias Rat beherzigen und die Sache von der positiven Seite sehen. Dieses Mal würde er seine eigene
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