Verhext
dunkel, fast schwarz. Es wies ein paar silbrige Strähnen auf, die aus der hohen Stirn gebürstet waren.
Iphiginia blickte in seine strahlenden Augen, und tief in ihrem Inneren blitzte eine Erkenntnis auf, die dort seit Wochen geschwelt hatte.
Dies war der Mann, den sie liebte, obgleich sie sich niemals hätte träumen lassen, daß sie ihm jemals begegnen würde. Er war genau, wie sie ihn sich vorgestellt hatte.
Iphiginia wußte, daß die Menge atemlos darauf wartete, wie sie reagieren würde.
»Mylord«, flüsterte sie so leise, daß nur er es hören konnte. »Ich bin so froh zu sehen, daß Ihr lebt.«
Sie flehte stumm, daß ihre Vermutung richtig war und der Graf sich von seiner Neugier leiten lassen würde. Dann schloß sie die Augen und sank ihm in gespielter Ohnmacht in die Arme.
Marcus fing sie auf, ehe sie zu Boden glitt. »Wirklich clever, Mrs. Bright«, murmelte er ihr ins Ohr. »Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie Sie sich aus dieser peinlichen Situation retten würden.«
Iphiginia wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Sie spürte, daß Marcus sie hochhob und gegen seine Brust preßte. Seine Arme waren stark und fest. Sie fühlte sich seltsam sicher. Sein Geruch weckte eigenartige Gefühle in ihrem Inneren. Die unerwartete, sinnliche Freude, die sie verspürte, verblüffte sie.
Nie zuvor hatte sie etwas Derartiges verspürt. Sie öffnete die Augen gerade weit genug, um zu erkennen, daß sich die weichen Röcke ihres weißen Seidenkleides über den schwarzen Ärmel seiner Jacke ergossen.
Die Menge teilte sich, und Marcus trug sie mühelos quer durch den Ballsaal zur Tür.
Noch während sich in dem überfüllten Raum überraschtes Gemurmel ob dieses großartigen Abgangs erhob, ging Marcus mit ihr auf dem Arm aus dem Haus und stieg ohne anzuhalten die breite Eingangstreppe hinunter. Dort wurden sie bereits von einer glän-zenden schwarzen Kutsche erwartet, die von zwei schwarzen Hengsten gezogen wurde.
Die Tür der Kutsche wurde von einem Pagen in schwarzer Livree geöffnet. Marcus schob Iphiginia hinein, und die Tür wurde wieder geschlossen.
Dann fuhr das schwarze Gefährt in die mitternächtlichen Straßen von London hinaus.
Kapitel zwei
»Ich nehme an, daß Sie ein paar Fragen haben, Mylord.«
»In der Tat, einige.« Marcus lehnte sich in seinem Sitz zurück und sah zu, wie Iphiginia sich plötzlich kerzengerade aufrichtete, eine weiße Feder in ihrem Haar geraderückte und ihre Röcke ausschüttelte.
»Das war zu erwarten, und ich bin durchaus bereit, Ihnen die gewünschten Antworten zu geben«, sagte sie. »Aber zunächst möchte ich Ihnen danken, daß Sie mich eben nicht verraten haben. Mir ist durchaus bewußt, daß Sie mein Benehmen wahrscheinlich recht seltsam gefunden haben.«
»Nicht im geringsten, Mrs. Bright. Ich versichere Ihnen, ich fand Ihre schauspielerische Leistung eher faszinierend.«
Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Einen Moment lang war Marcus wie erstarrt. Plötzlich wußte er, wie es ihr gelungen war, fast all seine Bekannten für sich einzunehmen.
»Ich war mir sicher, daß Sie so lange mitspielen, bis Sie der ganzen Angelegenheit auf den Grund gegangen sind.« Iphiginias fröhliche haselnußbraune Augen blickten mehr als nur etwas zufrieden. »Da gab es für mich gar keinen Zweifel. Ich wußte, daß Sie einfach zu clever, zu scharfsichtig, zu besonnen, zu intelligent sind, um etwas Übereiltes zu tun, ehe Sie die Sache nicht eingehend durchleuchtet haben.«
»Ich weiß das Vertrauen, das Sie in mich setzen, zu schätzen. Aber ich versichere Ihnen, daß ich über genug Verstand verfüge, um mich von Ihrer äußerst charmanten Schmeichelei nicht vollkommen von dem Thema, um das es eigentlich geht, ablenken zu lassen.«
Sie blinzelte überrascht. »Aber ich habe Ihnen nicht geschmeichelt, Sir. Ich habe jedes Wort genauso gemeint, wie ich es gesagt habe. Ich habe mich eingehend mit Ihnen beschäftigt, und ich bin zu dem Schluß gekommen, daß Sie ein hochintelligenter Mann sind.«
Marcus starrte sie an. Einen Augenblick war er einfach nur sprachlos. »Sie bewundern meine Intelligenz?«
»Jawohl«, sagte sie mit echter Begeisterung in der Stimme. »Ich habe all Ihre Abhandlungen im Magazin für Technik und Wissenschaft gelesen, und ich war tief beeindruckt. Der Artikel über die Leistungsfähigkeit von Dampfmaschinen war besonders interessant. Und Ihr Vorschlag bezüglich der Entwicklung einer mechanischen Dreschmaschine war ebenfalls sehr
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