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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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todsicheren Sorte. Angeblich war Intuition ja die beste Gabe
eines Agenten, eine persönliche Zusatzqualifikation, die dunkle
Zusammenhänge erhellen konnte und ihren Eigner Bedrängnisse
aller Art vermeiden ließ. Ein Talent. Doch nie wurde
dazugesagt, wie es sich anfühlte, wenn man eine Intuition wie
diese hatte.
    Cavanaugh wußte plötzlich ohne den leisesten Zweifel,
daß Doktor Julia Garvey in diesem Moment bereits tot war.

Doktor
Mark Lederer wohnte in einem großen Haus mit weißen
Säulen in Newton; es stand inmitten einer ganzen Reihe weiterer
Häuser in imitiertem Kolonialstil, die sichtlich alle zur
gleichen Zeit und vom selben Architekt erbaut worden waren. Fast auf
jedem Rasen befand sich eine Kinderschaukel – momentan ein still
vor sich hin rostendes Relikt des letzten Sommers –, eine
Sandkiste, ein Baumhaus und ein Basketballkorb über dem
Garagentor. Im Garten des Nachbarhauses wimmelte es von Kindern, die
auf flachen silbernen Plastikschlitten einen Abhang hinunterrodelten,
dessen höchster Punkt mindestens einen Meter über dem
tiefsten lag. Ein kleines Mädchen öffnete die Tür zu
Lederers Haus, eine hübsche, zahnlückige Neun- oder
Zehnjährige in einem Guns ’n’ Roses-Sweatshirt. Sie
lächelte freundlich.
    Offenbar hatten die Lederers das, was ihrer Sechsjährigen
widerfahren war, nicht zum Anlaß genommen, ihre Töchter
davor zu warnen, Fremden die Tür aufzumachen. Vielleicht wollten
die Eltern nicht, daß ihre Kinder der Umwelt allzuviel
Mißtrauen entgegenbrachten. Cavanaugh schüttelte den Kopf;
die Menschen waren schon merkwürdig.
    »Ist dein Vater zu Hause? Doktor Mark Lederer?«
    »Papa!« schrie das Mädchen, und Cavanaugh zuckte
erschrocken zusammen; die Kleine hätte es mit einem
Kompaniefeldwebel aufnehmen können.
    Mark Lederer kam die Treppe herab; er trug Khakihosen und einen
Pullover und trocknete sich mit einem Handtuch das Haar. Als sein
Gesicht aus dem Frottee auftauchte und er Cavanaugh erblickte, blieb
er wie angewurzelt stehen, einen Fuß in der Luft. Seine Miene
wurde völlig ausdruckslos – nur einen Moment lang, dann
lächelte Lederer und streckte dem Besucher die Hand entgegen,
aber der eine Moment genügte.
    Blindgänger, dachte Cavanaugh. Blindgänger!
    »Mister Cavanaugh! Guten Tag! Molly, schließ die
Tür, es kommt kalt rein.«
    Molly schloß die Tür, schenkte Cavanaugh ein letztes
Zahnlückenlächeln und hüpfte davon.
    »Ich habe noch einige Fragen an Sie, Doktor Lederer«,
sagte Cavanaugh. Sein Hirn raste. Blindgänger! Und er meinte
nicht Lederer.
    Irgendwie – irgendwie hatte er zugelassen, daß Lederer
ihm beim letztenmal Lügen auftischen konnte!
    »Aber gern«, sagte Lederer. »Kommen Sie mit in mein
Arbeitszimmer.«
    »Ich würde lieber in meinem Wagen mit Ihnen
sprechen.«
    »Nein, ich ziehe mein Arbeitszimmer vor«, sagte Lederer,
und das konnte heißen, er vermutete, daß sein Haus
verwanzt war, und er wollte demjenigen, der es verwanzt hatte,
demonstrieren, daß er sich exakt so verhielt, wie es ausgemacht
war.
    Er ging voraus in sein Arbeitszimmer, das dem von Ben Kozinski
verblüffend glich, wenn man von den weniger imposanten
Möbeln absah. An der Wand hing eine gerahmte Fotografie der drei
Lederer-Töchter, alle ebenso hübsch und zahnlückig wie
die Kleine, die Cavanaugh eingelassen hatte. Sie trugen
selbstgefertigte Halloween-Kostüme: eine Ballerina, ein Engel,
ein Häschen. Die Ballerina stand auf den Zehenspitzen und
lachte. Der Engel streckte dem Fotografen die Zunge heraus. Und das
Häschen hielt einen roten Lolli in der Hand.
    Lederer schloß die Tür, und Cavanaugh sagte: »Herr
Doktor, Sie haben mir gegenüber behauptet, daß Sie nie zu
einem Einstellungsgespräch bei Verico waren.«
    »Das ist richtig«, nickte Lederer freundlich.
    »Wir sind anderer Meinung. Wir glauben, daß man Sie
bedroht, für den Fall, daß Sie jemandem verraten, was Sie
bei Verico erfahren haben. Diese Leute argwöhnen, daß Judy
Kozinski mit Ihnen über den Tod ihres Mannes gesprochen haben
könnte, und nun wurde dieser Drohung größeres Gewicht
verliehen, indem man Ihre kleine Tochter vorübergehend
festgehalten und ein paar Stunden später unversehrt wieder
freigelassen hat. Eine Machtdemonstration.«
    »Die hiesige Polizei wurde von uns über die Sache mit
Rosie informiert«, erklärte Lederer. Seine Stimme war fest,
und er blickte Cavanaugh gerade in die Augen. »Wir sagten den
Beamten, wir hätten keine Ahnung, wer sie entführt haben
könnte

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