Verico Target
durchtrainierten
Mafiagangstern, die nur so tun, als wären sie religiöse
Spinner?« fragte Cavanaugh ungläubig.
»Um Himmels willen, lassen Sie denen doch ein bißchen
Zeit, Bob! Offenbar geht es dort drunter und drüber –
Schußwunden, Brandwunden, hysterische Anfälle bei den
Glaubensbrüdern, keiner kann sich ausweisen! Und so bringen sie
eben alle raus, stellen Wachen vor die Krankenhaustüren,
transportieren den Rest ab und suchen das Anwesen nach Minenfallen
ab. Ebenso wie die Höhlen.«
»Die Höhlen?«
»Neymeier sagt, die ganze Gegend ist durchsetzt mit einem
System unterirdischer Kalksteinhöhlen. Anscheinend ist ein
anderer Teil davon eine bekannte Touristenattraktion.«
Touristen. Das hatte noch gefehlt. »Und Judy
Kozinski?«
»Noch kein Lebenszeichen von ihr. Sie ist jedenfalls nicht
unter den Verletzten, war offenbar nicht in der Siedlung. Soweit wir
es bisher sagen können. Aber noch ist alles reichlich
unübersichtlich. Wenn wir Neues dazu erfahren, lassen wir es Sie
wissen.«
»Tragen Sie den Polizisten und unseren Agenten auf, den Arzt
ausfindig zu machen – oder wer immer für die medizinische
Betreuung in der Siedlung zuständig ist – Krankenschwester,
Gesundbeter, was weiß ich – und ihn unter Bewachung zu
stellen. Er darf keinesfalls mit den anderen zusammenbleiben, wenn
sie abtransportiert werden!«
»Wird erledigt«, sagte Felders.
»Wir beginnen gleich mit dem Landeanflug«, sagte die
Stewardess an seiner Seite, »bitte suchen Sie Ihren Sitzplatz
auf und legen Sie den Sicherheitsgurt an.«
Cavanaugh hatte genug von Sicherheitsgurten und
Landeanflügen. Er legte den Kopf an die Rückenlehne und
schloß die Augen für die Viertelstunde Erholung, die er
während des Fluges nicht bekommen hatte und nun auch nicht mehr
bekommen würde.
Wo war Judy Kozinski?
Und war ihr DNA-Fingerabdruck einer von jenen, die Verico aus
Gewebeproben angefertigt hatte?
Schien nicht sehr wahrscheinlich, denn dann hätte man vor
zwei Tagen keinen Profikiller in ihr Bad schicken müssen,
sondern sie wohl mit Retroviren umgebracht. Also hatten sie keine
verwendbare Probe. Jedenfalls nicht von Judy.
Von wem dann? Wer war bereits für einen ganz individuellen,
maßgeschneiderten Tod vorgesehen?
»Wir beginnen mit dem Landeanflug«, kam die
Durchsage.
Die
kleine Taschenlampe war rosa, fingerlang und hing an ihrem
Schlüsselring. Judy hielt sie zwischen den Zähnen
eingeklemmt, und jedesmal, wenn sie eine Bewegung machte, klingelten
die Schlüssel. Ein Schlüssel für das Haus in Natick.
Zwei von ihrem Toyota. Einer für das Haus ihrer Eltern. Zwei von
Bens Corvette. Einer von der Aussteuertruhe ihrer Großmutter.
Und der Schlüsselanhänger, eine peinlich kitschige
holographische Rose in Plastik, die Ben ihr zum Spaß verehrt
hatte. Meine wilde irische Rose! Die Schlüssel und der
Anhänger pendelten unter Judys Zähnen hin und her,
während sie sich Mühe gab, den Lichtstrahl auf die blutende
Frau im dunklen Fond des Wagens zu richten.
Sie preßte beide Hände fest auf die Brust der
Verletzten. Zwei Stoffbausche, die sie aus dem langen Kleid der Frau
gerissen hatte, waren bereits durchnäßt. Der dritte, den
Judy auf die anderen beiden gepreßt hatte, war nicht sehr
gerötet. Das Blut begann zu gerinnen. Aber die Atmung der Frau
blieb flach, und ihre feingeschnittene Stirn war mit kaltem
Schweiß bedeckt. Auf den Vordersitzen wimmerten die beiden
Kinder leise, weinten aber nicht.
»Wie steht’s mit ihr?« fragte der Mann über
seine Schulter.
Judy hörte die Panik aus seiner Stimme heraus. Stirb
nicht! sagte sie stumm zu dem Kopf auf ihrem Schoß. Die
Schlüssel schwangen hin und her und klingelten. »Die Wunde
hat aufgehört zu bluten.«
»Gut, gut.«
»Papa, ich möchte nach Hause.« Das kleine
Mädchen, die Stimme allzu zaghaft. Ein Kind, das gelernt hatte,
keine großen Ansprüche zu stellen.
»Wir fahren ja nach Hause, Kleines«, sagte der Mann, und
die Zärtlichkeit, die in seiner Stimme mitschwang,
überraschte Judy. Sie wischte wiederum den Schweiß von der
Stirn der verletzten Frau. Steckte die Kugel noch in ihrem
Körper? Würde eine echte Krankenschwester wissen, wie man
sie entfernt?
Die einzigen Details der Situation, die sie durchschaute, waren
jene, die am unwichtigsten waren. Der Mann unter der Skimaske, der
den Wagen fuhr, mußte Wendell Botts sein, der seine Frau und
seine Kinder mit allen Mitteln zurückhaben wollte. Und jetzt war
er in das Sektenquartier eingebrochen
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