Verico Target
setzen, so sehr sich Judy
auch anstrengte. Neben ihr atmete Botts tief, aber nicht schwer; er
war zwar in ausgezeichneter Form, aber der Wagen rührte sich
dennoch nicht von der Stelle. Was würde Botts wohl tun,
wenn… Doch in diesem Moment begann der Wagen sich zu bewegen.
Keuchend schoben sie ihn an den Rand der Klippe und darüber
hinweg. Als er sich von Judys Fingern löste, fühlten sich
ihre Hände plötzlich gewichtslos an, so, als würde die
Schwerkraft keine Geltung mehr haben.
Schwer klatschte der Wagen unten ins Wasser. Botts packte Judy am
Arm und stapfte zum Rand der Klippe. Das schwarze Wasser hatte sich
bereits über dem Wagen geschlossen.
»Tief hier«, sagte Botts zufrieden, und Judy dachte: Er redet gern. Vielleicht würde sich das als hilfreich
erweisen. Vielleicht sollte sie ihn zum Reden bringen und in ihm das
Gefühl wecken, daß er sie dafür brauchte, auch wenn
seine Frau starb. Und sie konnte ihm mit den Kindern helfen…
»Wir sollten zu Ihrer Frau zurück«, sagte sie und
versuchte, möglichst kompetent und professionell zu klingen.
»Ihr Name ist…?«
»Saralinda.«
»Was für ein hübscher Name. Wie haben Sie beide
sich kennengel…?«
»Los, gehen wir!«
Er setzte sich flott in Trab, Judys Arm in einer Hand, die Waffe
in der anderen.
In der Hütte war es finster und kalt. Botts zündete eine
Karbidlampe an.
Saralinda lag auf dem Doppelbett, und die Kinder kuschelten sich
eng an sie. David hatte aufgehört zu weinen. Seine Augen waren
groß und rund in dem pausbäckigen Kleinkindergesicht.
Penny hatte einen Arm um ihn gelegt und den anderen in einen
zerfetzten Rockzipfel ihrer Mutter gewickelt. Als Botts einen Gasofen
einschaltete, war Judy enttäuscht; sie hatte auf ein Feuer oder
Elektrizität gehofft, die der Außenwelt signalisieren
würden, daß die Hütte bewohnt war. Aber sie sah auch
kein Telefon.
»In einer Minute ist es warm hier, Kinder«, sagte Botts
mit derselben Zärtlichkeit in der Stimme, die Judy bereits
kannte. Er steckte den Revolver in die Innentasche seiner Jacke.
»Und jetzt laßt die Schwester mal nach Mama
sehen.«
Judy setzte sich auf die Bettkante neben die Kinder und
fühlte Saralindas Puls. Er war rasch, unregelmäßig
und zu schwach. Schock? Sie legte die Hand auf Saralindas Herz, das
in demselben flachen, sprunghaften Rhythmus schlug.
»Sie muß es warm haben, wegen des Schocks«, sagte
Judy mit entschiedener Stimme. »Mister Botts, helfen Sie mir,
sie unter die Decken zu legen. Und rücken Sie den Ofen
näher ans Bett.«
»Wieso kennen Sie meinen Namen?«
Jetzt setzte zur Abwechslung Judys Herz aus. »Ich habe Sie im
Fernsehen gesehen.«
Er nickte. Offenbar gefiel ihm die Antwort. Aber Judy
wünschte sich trotzdem, er würde nicht wissen, daß
sie ihn identifizieren konnte.
Sie schoben Saralinda unter alle Decken, und nun zitterten die
Kinder vor Kälte. Judy sah, daß sie keine andere Wahl
hatte, als die Kinder unter dieselben Decken zu stecken. Aber wenn
das Schlimmste eintraf und sie neben ihrer toten Mutter
aufwachten…?
Es ging nicht anders. »Penny, Kleines, du und David, ihr
schlüpft auch unter die Decken, damit ihr es warm habt.«
Sofort krochen beide Kinder zu Saralinda und schmiegten sich an sie.
Davids Kulleraugen waren immer noch riesengroß. Judy hätte
am liebsten geweint.
»Die größte Gefahr«, sagte sie zu Botts,
»droht von einer Lungeninfektion oder einer Bradykardie. Auf
beides müssen wir ein wachsames Auge haben und sofort reagieren,
falls es soweit kommt.« Er nickte. Deck ihn ein mit Worten,
Judy.
Die Kälte hatte sich auch in ihre Knochen gestohlen.
Doch je weiter die Nacht fortschritt, desto wärmer wurde es
in der Hütte. Die dichten, schwarzen Vorhänge an den beiden
Fenstern halfen, daß nichts von der Wärme nach
draußen gelangte. Die Kinder schliefen ein, und Saralinda lag
reglos und ohne auch nur einen Seufzer von sich zu geben da –
war das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Bitte stirb nicht!
Penny nieste im Schlaf. O Gott, und wenn sie eine Erkältung
bekam? Saralinda konnte eine Infektion zusätzlich zu ihrer
Schußwunde nicht überleben – oder?
Botts schloß einen versperrten Schrank auf, nahm eine
Flasche Whiskey heraus und hielt sie Judy hin. »Einen
Schluck?«
»Ich trinke nie im Dienst, Mister Botts.«
Er nickte anerkennend. »Ich auch nicht. Wenn ich arbeite, bin
ich stocknüchtern. Erst hinterher genehmige ich mir einen oder
zwei. Ein Mann braucht das, um Dampf abzulassen. Sie
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