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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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die
MasterCard-Abrechnungen, die romantischen Kärtchen, die sie ihm
gesandt hatte, alles. Er konnte es nicht abstreiten. Er hat es gar
nicht versucht. Eigentlich hat er mir nicht einmal zugehört. So
unwichtig war ihm das alles.«
    Cavanaugh bemerkte, daß er von ihr abgerückt war,
obwohl er immer noch am Ende des Sofas saß. Die Armlehne
drückte sich hart in seine Rippen.
    »Er hatte gerade mein Leben in Trümmer gelegt und nahm
sich nicht einmal die Zeit, darüber zu reden. Er hielt es nicht
für wichtig genug, um deswegen ärgerlich zu werden, und Ben
wurde sonst immer ärgerlich, wenn er sich kritisiert
fühlte. Immer. Das war das einzige, was seiner beruflichen
Karriere hinderlich schien: Er wurde ärgerlich, wenn man ihn
kritisierte. Oder auch, wenn man nicht einer Meinung war mit ihm.
Seinen Vorgesetzten gefiel das nicht. Ebensowenig wie seinen
Kollegen.«
    Sie legte das Kissen so sorgsam und pedantisch auf den Boden, als
wäre es eine Bombe, die jeden Moment hochgehen konnte. Ihre
Stimme wurde noch weicher, noch gedämpfter. »Alles, was er
sagte, war: ›Judy, die letzten beiden Tage waren sehr
anstrengend für mich, ich kann das jetzt nicht
diskutieren.‹ Nur das, immer wieder. Ohne ärgerlich zu
werden. ›Judy, die letzten beiden Tage waren sehr anstrengend
für mich, ich kann das jetzt nicht diskutieren.‹«
    Sie schwieg. Cavanaugh sagte: »Sie hingegen fuhren fort, es
zu diskutieren…«
    »Ich fuhr fort zu weinen und zu kreischen und zu
jammern«, sagte sie ruhig. »Ich hatte den Verstand
verloren. Ich war nicht bei Trost. Schließlich verließ
Ben das Haus. Er hat nicht einmal zurückgebrüllt. Es war
ihm einfach nicht wichtig genug.«
    Was Cavanaugh bezweifelte. Er nahm an, Kozinski war etwas anderes
im Kopf herumgegangen, etwas so Überwältigendes, daß
jedes häusliche Problem an zweiter Stelle kommen mußte.
Aber Cavanaugh unterbrach sie nicht.
    »Er ging hinaus zur Garage, öffnete das Tor, startete
die Corvette und fuhr weg. Warten Sie, ich zeige Ihnen
etwas.«
    Sie stand auf und trat an ein Bücherbord. Es überraschte
Cavanaugh, wie klein sie war – nicht einmal einssechzig. Im
Sitzen hatte ihre füllige Gestalt sie größer
erscheinen lassen. Sie kam mit einem Stadtplan von Boston und
Umgebung zurück.
    »Sehen Sie? Das war die Strecke, die Ben fahren wollte. Er
hat sie mit einem roten Marker eingezeichnet: Nebenstraßen bis
zur Fernstraße Nummer 135, dann die 135 für einige
Kilometer. Der Marker endet an dem Stop & Shop-Supermarkt. Sein
Labor liegt aber hier, in Cambridge. Seine letzten Worte waren:
›Ich halte das nicht mehr aus. Ich fahre ins Labor.‹ Aber
er fuhr nicht zum Whitehead. Nicht auf dieser Strecke.«
    Cavanaugh beugte sich über ihre Schulter, um auf die Karte zu
sehen. Sie hatte recht. Nach Wellesley verlief die Fernstraße
135 Richtung Südosten weiter, Richtung Boston, aber weg von
Cambridge.
    »Ben fuhr nicht in sein Labor. Hier, genau an dieser Kreuzung
in Needham wohnt Caroline Lambert. Das liegt an der Strecke, die er
fuhr. Er wollte zu ihr.«
    Cavanaugh studierte die Karte. »Haben Sie das Leutnant
Piperston auch gesagt?« Er sprach so rücksichtsvoll wie nur
möglich. Ihre stille Verzweiflung begann, ihm ins Gemüt zu
dringen. Das Arbeitszimmer des toten Mannes fühlte sich
heiß und stickig an, obwohl die Klimaanlage lief.
    »Nein. Ich bin vor einer halben Stunde erst darauf gekommen.
›Ich halte das nicht mehr aus. Ich fahre ins Labor. ‹ Aber
das tat er nicht. Als er mich nicht mehr aushalten konnte, fuhr er zu
ihr.«
    Cavanaugh stand auf. Es geschah fast ohne Absicht; mit einemmal
war er auf den Beinen. Das störte ihn, denn es gefiel ihm nicht,
daß sein Körper anfing zu tun, was er wollte. Aber Judy
Kozinski würde jeden Moment zu toben beginnen, und es würde
ihm absolut nichts einbringen, wenn er dabei zugegen war.
    »Mrs. Kozinski, haben Sie auch nur die geringste Ahnung, wer
ein Interesse am Tod Ihres Mannes haben könnte? Ich weiß,
daß seine Brieftasche gestohlen wurde, aber falls die entfernte
Möglichkeit besteht, daß es sich doch nicht um einen
einfachen Raubüberfall gehandelt hat, wüßten Sie von
jemandem, der einen Grund gehabt haben könnte, ihn zu
töten?«
    Sie sah hoch zu ihm. Ihre haselnußbraunen Augen waren so
arglos und weit offen, daß Cavanaugh eine Sekunde lang das
Gefühl hatte, sich in ihren Tiefen zu verlieren. Er konnte sich
kein schlimmeres Schicksal vorstellen. Sie sagte: »Nur mich
selbst.«
    Er war verblüfft. Das

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