Verico Target
auch eine Buchhandlung gab. Er
blieb stehen, kehrte um und fuhr zurück. Die Buchhandlung
führte in erster Linie Bestseller und Diät-Ratgeber, aber
im hinteren Teil des Ladens befand sich eine kleine Abteilung mit
Nachschlagewerken. Cavanaugh stieß auf ein zweibändiges
Lexikon und schlug unter ›Litauen‹ nach. Der dritte Absatz
begann mit: ›Der Katholizismus ist die vorherrschende Religion
in Litauen.‹ Das Copyright stammte aus 1983.
»Darf ich Ihnen das da einpacken, Sir?« fragte der
Verkäufer hoffnungsvoll.
»Nein, danke«, sagte Cavanaugh und schob den Band
zurück ins Regal. Daheim hatte er ein Lexikon, das umfangreicher
und neueren Datums war als dieses hier. Er fand es ungehörig,
daß ein so altes Nachschlagewerk immer noch verkauft wurde.
Informationen sollten immer auf dem neuesten Stand sein, genau wie
technische Apparate.
Wieder unterwegs begann er alle Auskünfte, die er von
Piperston erhalten hatte, sorgfältig zu überdenken; er
zerlegte die Worte und betrachtete jedes einzelne von allen Seiten,
genau wie er es mit einer kaputten Kaffeemaschine getan hätte.
Religion hatte für ihn nie viel Bedeutung gehabt, und er sah
keinen Grund, weshalb es hier anders sein sollte. Diese
›moralische Ordnung‹ – was auch immer das sein sollte
– der Katholiken hielt die Mafia keinen Deut von irgendeinem
Verbrechen ab. Und in der Geschichte der irisch-katholischen Politik
hier in Boston gab es nicht den geringsten Hinweis darauf, daß
sie einen geordneten Lauf der Welt erwartete – jedenfalls nicht,
ohne den Mechanismus dahinter ausgiebig zu schmieren. Aber
natürlich hatte Piperston sorgfältig darauf geachtet, seine
Bemerkungen auf die ›eigenartige Atmosphäre einer
irisch-katholischen Mittelstandsfamilie‹ zu beschränken.
Doch wie sollte Piperston, ein erwachsener Litauer männlichen
Geschlechts, etwas von der Kindheit eines irischen Mädchens
wissen? Und was war das überhaupt für ein litauischer Name
– Piperston?
Dennoch, der kleine Polizeileutnant hatte etwas Solides,
Verläßliches an sich. Cavanaugh trennte Piperstons
Auskünfte von Piperstons Spekulationen und legte beides an
verschiedenen Stellen seines Gehirns ab.
Und dann bog er in die Zufahrt zum Haus einer Frau ein, die die
Aktenschränke ihres Mannes mit einem Hammer attackiert hatte
– nur Stunden bevor man ihren Mann mit einem Hammer attackiert
hatte. Die jedoch, wie Piperston betonte, nicht zu den dringend
Verdächtigen gehörte.
Cavanaugh wünschte sich, daß Piperston recht hatte.
Denn er hoffte, daß diese Spur, die zu Verico wies, nicht einer
vor Eifersucht übergeschnappten Amateurmörderin
gehörte.
Das Haus war hübsch, aber bescheiden – im georgianischen
Stil erbaut, stand es in einer leicht heruntergekommenen Gegend.
Kozinski hatte sein Geld offensichtlich in andere Dinge als in
Immobilien gesteckt. Blumen säumten den Gartenweg. Cavanaugh
verstand nicht viel von Blumen, er kannte gerade eben Ringelblumen
und Stiefmütterchen beim Namen, aber was ihm hier auffiel, waren
die Farben: ausschließlich Gelb und Orange. Da hatte jemand die
Blumen ihrer Farben wegen gewählt, und die Farben wegen ihrer
Leuchtkraft.
Die Tür wurde von einer untersetzten Frau geöffnet, die
geweint hatte. Sie sah zu alt aus, um mit Kozinski, der ja erst
dreiundvierzig gewesen war, verheiratet zu sein. Cavanaugh kam zu dem
Schluß, daß es entweder Kozinskis Mutter war oder die
seiner Frau.
»Guten Tag, Madam. Mein Name ist Robert Cavanaugh. Ich
führe die Ermittlungen zum Tod von Benjamin Kozinski.« Er
zeigte flüchtig seinen Ausweis her, doch wie gehofft warf sie
keinen eingehenden Blick darauf. Cavanaugh wollte lieber selbst den
Zeitpunkt wählen, zu dem er Mrs. Kozinski erklären
würde, daß er FBI-Agent war.
Die Frau runzelte die Stirn. »Aber ein Polizeibeamter war
doch schon… nun ja, gut. Bitte versuchen Sie wenigstens, die
bereits gestellten Fragen kein zweitesmal zu stellen, wenn es nicht
unbedingt nötig ist. Sie werden verstehen, daß sie sehr
bestürzt ist.«
Lehrerin, tippte Cavanaugh. Grundschule oder erste Klasse
Oberschule. Es war die Art, in der sie Anordnungen gab: mit fester,
an die Vernunft appellierender Stimme. Als ob es von Bedeutung
wäre, nicht nur die Befolgung des Geforderten sicherzustellen,
sondern auch den hohen Wert sachlich begründeter Zumutbarkeit zu
unterstreichen.
Er folgte ihr durch ein Wohnzimmer, das mit glatten Möbeln,
einem langen Bücherregal, Zimmerpflanzen in
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