Verico Target
Buches
über die Ketzerei im siebzehnten Jahrhundert. Ich habe seine
Karriere aufmerksam verfolgt. Judy Kozinski wuchs vermutlich in
dieser ganz eigenartigen Atmosphäre einer irisch-katholischen
Mittelklassefamilie auf: behütete Kindheit, katholische Schulen,
idealistische Einstellung, geordnetes, gebildetes Zuhause. Ich habe
keine Ahnung, ob sie immer noch gläubig ist, aber ich
weiß, daß Mädchen, die so aufwachsen, ein starkes
Gefühl für moralische Ordnung entwickeln. Für
gewöhnlich, ohne sich dessen bewußt zu sein. Sie haben
tiefsitzende, leidenschaftliche Vorstellungen davon, wie der Lauf der
Welt für Menschen aussehen sollte, die sich an die Regeln
halten. Und wenn sie herausfinden, daß es nicht immer so
funktioniert, dann können sie ganz schön wild
werden.«
Cavanaugh verstand nicht ganz. »Wollen Sie damit sagen«,
erkundigte er sich behutsam, »daß Mrs. Kozinski durch die
Entdeckung der Seitensprünge ihres Mannes so wild geworden sein
könnte, daß sie ihn umbrachte?«
»Nein«, sagte Piperston, und Cavanaugh merkte sofort,
daß er einen Fehler begangen hatte. Piperston hatte
vorausgesetzt, daß Cavanaugh verstand, was er sagen wollte; das
war nicht der Fall gewesen, und nun war Cavanaugh in Piperstons
Wertschätzung um eine Stufe abgesunken. »Das will ich
keineswegs damit sagen. Ich will damit sagen, daß Judy
Kozinskis brave katholische Vorstellung über den Lauf der Welt
einen heftigen Schlag erhalten hat. Das wird Spuren bei ihr
hinterlassen. Ich weiß nicht, weshalb das Ministerium an diesem
Fall interessiert ist, aber wenn Sie vorhaben, Judy Kozinski zu
überwachen, dann sollten Sie sich dessen bewußt
sein.«
Cavanaugh trank den Kaffee aus und überlegte. Piperston
lehnte nach wie vor an seinem Schreibtisch, bot ihm keine weiteren
Informationen an, signalisierte aber auch nicht, daß die
Besprechung zu Ende war. Seine intelligenten grauen Augen verrieten
nichts über seine Gefühle.
Cavanaugh beschloß, ein Risiko einzugehen. »Sind Sie
katholisch, Inspektor?«
»Ich stamme aus Litauen«, erklärte Piperston, was
Cavanaugh absolut nichts sagte. Dennoch hatte er das unbehagliche
Gefühl, daß es ihm sehr wohl etwas sagen sollte, und so
enthielt er sich jeglicher Bemerkung.
Der Rest der Besprechung beschäftigte sich mit
organisatorischen Details. Cavanaugh holte sich die Zusage, daß
Piperston die Erstberichte nach ihrer Fertig-Stellung an die hiesige
FBI-Zweigstelle faxen würde, und Piperston erklärte sich
auch bereit, Kozinskis Aktenschränke, die als Beweismaterial
galten, erst am nächsten Vormittag zu öffnen, wenn
Cavanaugh zugegen sein konnte. Dann fuhr Cavanaugh zu dem Stop &
Shop-Laden, wo Kozinski getötet worden war.
Die Spurensicherung war immer noch im Gange, während die
lokale Polizei die Schaulustigen auf Abstand hielt. Ein
unglücklich dreinsehendes Paar, das Cavanaugh für die
Eigentümer des Ladens hielt, saß an einem leicht
verwitterten Picknicktisch vor dem Gebäude. Die beiden warfen
abwechselnd Blicke auf die GESCHLOSSEN-Tafel an der Tür.
Cavanaugh stellte sich vor und blickte sich eine Weile um, aber es
gab absolut nichts zu sehen. Gebüsch, Asphalt, ein nicht sehr
gut erhaltenes niedriges Holzgebäude und die Umrisse des
Leichnams auf dem Boden. Der Tote, der Wagen, die Mordwaffe und alles
andere, was auch nur von entferntestem Interesse hätte sein
können, war schon weggebracht worden. Die Vermessung des
Tatortes war bereits beendet, aber das Team der Spurensicherung nahm
immer noch Proben von Blut, Blättern und Boden an jeder
erdenklichen Stelle und versah alles mit sorgfältig
beschrifteten Etiketten, in der Hoffnung, irgend etwas von den
Fasern, den Haaren oder dem Blut könnte von einer anderen Person
als dem Opfer stammen. Daran hatte Cavanaugh bereits seine
Zweifel.
Während seiner Zeit in der Überwachungsabteilung hatte
er Dutzende Schauplätze von Morden analysiert, die meisten davon
begangen von Mitgliedern der Mafia an anderen Mitgliedern der Mafia.
Das hier war etwas anderes. Das hier war der Mord an jemandem,
für den Mord nicht zum täglichen Leben zählte, welches
er damit verbrachte, unruhige Blicke über die Schulter zu werfen
und im Restaurant mit dem Rücken zur Wand zu sitzen. In Ben
Kozinskis Welt attackierten Menschen Probleme und nicht
Schädeldecken.
Er fragte sich, was wohl der letzte Gedanke des Mannes gewesen
sein mochte.
Auf dem Weg zurück nach Natick kam Cavanaugh an einem kleinen
Einkaufszentrum vorbei, in dem es
Weitere Kostenlose Bücher