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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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seinen eigenen Kindern…
    »So ein hübsches Puppenhaus!« sagte Mrs. Weiss.
»Und die Pendeluhr im Wohnzimmer, die gefällt mir ganz
besonders!«
    Penny warf ihr einen zweifelnden Blick zu und machte einen Schritt
nach vorn, um in das Wohnzimmer zu sehen, wo die Pendeluhr an die
Wand gemalt war. Wie hatte diese Frau überhaupt sehen
können, daß dort eine Uhr war?
    »Eine Uhr mißt die Zeit, Penny«, sagte er. Meine
Güte, war er ein Idiot. Das wußte sie doch! Oder
etwa nicht? Wußte das eine Vierjährige oder nicht?
    »Sie zeigt drei Uhr«, sagte Penny.
    Wendell war so dankbar, daß er fast in Tränen ausbrach.
Sie hatte etwas gesagt! Sie hatte etwas über sein Puppenhaus
gesagt! Rasch kniete er sich neben sie hin und steckte die Hand ins
Puppenhaus. »Sieh mal, hier ist ein Bücherschrank und da
der Herd, und schau, du kannst die Betten hinstellen, wo du
möchtest…!«
    »Ich will die Betten nirgendwo hinstellen«, sagte Penny.
Mit ausdruckslosen Augen starrte sie Wendell an.
    »Na, dann lassen wir’s! Dann lassen wir die Betten, wo
sie sind, Penny, Schätzchen.«
    Sie antwortete nicht.
    Er spürte, wie die Leere kam, die kalte, gräßliche
Leere. Ein Fehler. Das Puppenhaus war ein verdammter Fehler, wie
alles andere in seinem Leben, jedes einzelne nichtswürdige Ding,
das er je angefaßt hatte… Am liebsten hätte er das
verfluchte Ding an die Wand geworfen. Den Karton in Fetzen gerissen,
die billigen Plastikmöbel in seiner Faust zerquetscht…
    »Auto«, sagte David. »David Auto.«
    Er zeigte auf den Bulldozer. Wendell sprang vom Boden auf. Er
streifte an das Puppenhaus an, und es wackelte ein wenig. »Ganz
recht, Davey! Das ist dein Auto, Daddy schenkt dir das Auto! Komm zu
Daddy, und wir machen brumm! brumm! brumm! mit dem
Auto…«
    Er streckte die Arme nach David aus. Der Zweijährige
ließ Mrs. Weiss los und wechselte in die Arme seines Vaters
über. Etwas Warmes, Weiches durchflutete Wendell, und er drehte
sich um, damit die Fürsorgerin seine Augen nicht sehen
konnte.
    Er setzte sich mit David auf den Boden. »Sieh mal, das Auto
kann fahren, du schiebst es so und so und brumm! brumm!«
    »Brumm! brumm!« machte David.
    »Und das hier geht auf und nieder… wofür kann denn
das bloß sein, Davey, mein Junge?«
    David sah ihn zweifelnd an.
    »Es gräbt! Es schaufelt die Erde hoch! Schau mal, wir
haben Erde hier…«
    Wendell brumm!brumm!te den Bulldozer zu dem Karton mit Sand. David
folgte ihm. Wendell zeigte vor, wie man es anstellte, damit die
Schaufel den Sand und die Steinchen hochhob.
    »David machen! David machen!«
    »Du bist der beste Bulldozerfahrer im ganzen Land, Davey! Du
bist der Größte!«
    Der Kleine ließ die Schaufel auf und ab schwenken. Er
strahlte über sein ganzes rosiges Gesichtchen und lachte, wenn
er den Sand aus dem Karton auf den fadenscheinigen Teppich
kippte.
    Wendell sah hinüber zu Penny. Sie war dabei, alle Möbel
wieder aufzustellen, die umgefallen waren, als er aufsprang. Ihr
schmales Gesicht unter den hüpfenden Schwänzchen sah ernst
und konzentriert drein, als sie sich bemühte, alle
Plastikstühle dicht unter den wackeligen gelben Tisch zu
rücken.
    Wendell schloß die Augen ganz fest, und noch ehe es ihm
bewußt wurde, war das Gebet draußen:
    Danke, heiliger Cadoc!
     
    Nachdem sie gegangen waren, saß Wendell an den Bettrahmen
gelehnt auf dem Boden. Etwas Metallisches bohrte sich in seinen
Rücken, aber er rührte sich nicht.
    Zwei Stunden. Zwei beschissene Stunden, und dann waren sie wieder
weg.
    »Was krumm ist, kann man nicht gerade machen, und was
fehlet, kann man nicht zählen.«
    Der Prediger Salomo, irgendeine lausige Nummer. Einer von
Saralindas Lieblingssprüchen – sie sagte ihn unentwegt her.
Das Schlimmste am Leben als Streiter des göttlichen Bundes war,
daß man die Bibelverse einfach nicht mehr aus dem Schädel
bekam. Die steckten da drinnen wie festgeklebt. Verkleisterten einem
das ganze Hirn.
    Bloß zwei winzigkleine beschissene Stunden.
    Er brauchte einen Drink. Er konnte nicht vom Boden aufstehen und
er brauchte einen Drink. Es waren doch seine Kinder, oder etwa nicht?
Niemand sollte ihm seine Kinder wegnehmen können – einfach
so! Was er getan hatte, tat ihm leid, und er hatte dafür
bezahlt. Doppelt: mit einer Gefängnisstrafe und mit dem Verlust
Saralindas. Er hatte bezahlt, und so sollten sie ihm wenigstens seine
eigenen Kinder länger als zwei Stunden überlassen! Was war
er denn – irgend so ein schweinischer Kinderschänder?

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