Verico Target
sagten Verdächtige nie.
Ausnahmslos waren sie entrüstet, daß sie überhaupt zu
den Verdächtigen gehörten.
»Nur mich selbst«, wiederholte sie, und nun war ihre
Stimme völlig und geradezu unnatürlich klar, jedes Wort
sorgfältig ausgesprochen. »Aber ich habe es nicht getan.
Ich hätte es nicht tun können, denn trotz allem liebte ich
ihn immer noch. Trotz allem.«
Cavanaugh glaubte ihr.
Er sah zu, daß er hinauskam, ehe der Sturm losbrach.
Wendell
Botts stellte das Puppenhaus vom Boden des Motelzimmers auf den
Couchtisch. Aber dann sah der Fisher-Price-Bull-dozer daneben viel zu
klein aus. Also stellte er das Puppenhaus zurück auf den Boden.
Dabei fielen ein paar Teile der Miniatureinrichtung aus Plastik um.
Wendell unterdrückte einen Fluch, hob das Puppenhaus wieder auf
den Tisch und warf einen Blick auf die Armbanduhr. 1:56. Sie
würden in vier Minuten hier sein.
Er kniete sich auf den Teppich, schob die Hand ins Innere des
Puppenhauses und stellte die Möbel wieder auf. Ein grünes
Sofa aus geformtem Plastik, zwei blaue Sessel und ein blauer
Couchtisch. In der Küche ein gelber Tisch mit vier Stühlen
und in jedem der beiden Schlafzimmer im Oberstock ein rosa Bett, eine
violette Frisierkommode und ein blauer Nachttisch. Der Rest der
Einrichtung war einfach auf die Kartonwände aufgemalt: Herd und
offener Kamin und Bücherregale und eine Pendeluhr. Aber die
Teppiche in jedem Raum waren echt: Stoffstücke, die Wendell nach
Maß zugeschnitten hatte. Sie waren beim Kauf nicht
dabeigewesen. Ebensowenig wie die Puppenfamilie, die Wendell erst im
dritten Laden gefunden hatte. Er sah sie zweifelnd an. Mutter und
Vater waren einen Fingerbreit zu lang für ihre Plastikbetten.
Würde Penny das stören?
Der Bulldozer hingegen war eine sichere Sache. Starkes,
leuchtendbuntes Plastik, und die Schaufel hob sich sogar, wenn man
das glänzendschwarze Lenkrad kippte. Die Gummireifen drehten
sich, und der hölzerne Fahrer grinste bis in alle Ewigkeit auf
seine Erdladungen hinaus. Wendell hatte einen flachen Karton aus dem
Gemüseladen mit Sand gefüllt und ihn neben den Couchtisch
gestellt. Er hatte sogar ein paar Steinchen, aufgelesen von der
Zufahrt des Motels, hinzugefügt. Davey konnte nach Herzenslust
mit seinem Bulldozer werken.
Die Zeit: 1:59.
Hätte er lieber Schokoladekekse kaufen sollen statt der
Erdnußbutter? David liebte Schokolade. Aber Penny bekam
manchmal Nesselausschlag davon.
Um 2:00 klopfte es. Wendell, der nur darauf gewartet hatte, zuckte
zusammen, als hätte man ihn angeschossen.
Sie traten zögernd ein, David auf dem Arm der
Fürsorgerin, Penny am Rocksaum der Frau. Unwillkürlich warf
Wendell einen Blick hinaus, bevor er die Tür schloß.
Niemand sonst saß im Wagen.
Er wollte wetten, daß Saralinda der Gedanke an die vom
Gericht bestellte Fürsorgerin genauso widerwärtig war wie
ihm, wenngleich aus einem anderen Grund: »Unrein.«
»David hat im Wagen ein wenig geschlafen«, sagte Mrs.
Weiss, »könnte sein, daß wir ein paar Minuten lang
mürrisch sind.«
Ein paar Minuten. Aber alles, was er an Zeit mit ihnen hatte,
waren zwei Stunden! Hätte das blöde Weib David denn nicht
wachhalten können? Wendell zwang sich, kein finsteres Gesicht zu
machen. Seine Hände waren feucht. »Ach, das ist schon in
Ordnung. Komm zu Daddy, Davey, Junge…«
David bohrte den Kopf in Mrs. Weiss’ Schulter. Er trug einen
roten Spielanzug und winzige rote Sportschühchen. Wenigstens war
kein B auf seinen Kleidern.
»Penny, Kleines, schau, was ich da für dich habe! Ein
Puppenhaus!«
Penny sah ihn ohne die Spur eines Lächelns an. Sie trug ein
blaues Kleidchen, und ihr dunkelbraunes Haar, das die gleiche Farbe
hatte wie das von Saralinda, war in zwei Schwänzchen hoch oben
auf dem Hinterkopf zusammengefaßt. Wendell verspürte ein
Ziehen im Herz: Wieviel wußte sie noch von ihm und von dieser
schrecklichen Nacht, in der er so betrunken gewesen war und…
Sorgfältig war er darauf bedacht, sie nicht zu berühren.
Erst sollte sie sich wieder langsam an ihn gewöhnen. O Gott,
wenn sie sich daran erinnerte… Er hätte alles dafür
gegeben, diese Nacht noch einmal erleben zu dürfen und anders
ablaufen zu lassen. Alles. Bloß diese eine Nacht…
Penny starrte das Puppenhaus an, die Finger immer noch in Mrs.
Weiss’ Rocksaum verkrallt. Sie war vier – war das nicht zu
groß, um sich noch so an Fremde anzuhängen? Wenn dieses
verdammte Weib nur gehen würde, dachte er, damit er eine Chance
hätte bei
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