Verico Target
handgearbeiteten
Töpfen und Primitivkunst in Form hölzerner Tierstatuen
eingerichtet war. Ein Mann um die sechzig saß auf dem Sofa und
las in einem Buch. Zu seiner Rechten ging ein Korridor ab, in dem
sich zwischen etlichen Türen weitere Bücherregale befanden.
Die einzige Tür, die offenstand, führte ins Bad.
»Judy?« Die Frau klopfte an eine der Türen.
»Dürfen wir reinkommen, Liebes? Da ist noch ein Polizist,
der dich sprechen will.« Cavanaugh hörte keine Antwort,
aber die Frau öffnete die Tür.
Er hatte sich auf Tränen und Hysterie gefaßt gemacht,
aber Mrs. Kozinski saß still auf einem kurzen Sofa, das an
einer Wand des kleinen Arbeitszimmers stand. Ein schöner
Schreibtisch aus Teak oder Mahagoni und ein riesiger brauner
Ledersessel dominierten das Zimmer und nahmen gemeinsam zwei Drittel
des Raums ein. Im Rest drängten sich das Sofa, ein
Bücherregal aus Kiefernholz und ein Computertisch zusammen. Auf
dem Teppich wiesen zwei Rechtecke aus zusammengedrücktem Flor
auf die Stellen hin, von denen man kürzlich Aktenschränke
entfernt hatte.
Wie ihre Mutter war auch Judy Kozinski klein und
übergewichtig. Sie hatte glattes, kurzgeschnittenes dunkles
Haar, braune Augen und eine kleine aufgestellte Nase. Ihre Augen
waren rot und verschwollen. Sie trug Jeans, ein übergroßes
T-Shirt und einen nicht recht dazupassenden goldenen Anhänger in
der Form zweier mit bunten Steinen besetzter Spiralen.
Es gab keinen zweiten Stuhl, und Cavanaugh widerstrebte es,
Kozinskis riesigen Ledersessel hinter dem Schreibtisch
hervorzuziehen. Also setzte er sich ans andere Ende des Sofas.
»Mein Name ist Robert Cavanaugh, Mrs. Kozinski. Ich
weiß, das ist ein schlimmer Zeitpunkt für Sie, aber ich
möchte Sie nur…«
»Jeder andere Zeitpunkt wäre genauso schlimm.«
Er dachte kurz nach und kam zu dem Schluß, daß sie
vermutlich recht hatte. Eine ganze Weile würde vergehen, ehe es
wieder einen guten Zeitpunkt für sie gäbe.
»Können Sie mir sagen, was geschehen ist? Ich weiß,
daß Sie darüber bereits mit Inspektor Piperston gesprochen
haben, aber für den unwahrscheinlichen Fall, daß
etwas…«
»Ich war wütend auf Ben«, begann sie. Ihre Stimme
klang weich, gedämpft und leblos, wie etwas Totes, das in Watte
gepackt war. Cavanaugh hatte den Eindruck, daß Sie momentan
alles tun würde, was man ihr auftrug, und den weiteren Eindruck,
daß diese Fügsamkeit nicht von Dauer sein würde. Dies
hier war das Auge des emotionalen Hurrikans.
»Ich war wütend auf Ben, weil er ein
Vorstellungsgespräch bei einer Biotechnikfirma in einer anderen
Stadt ausgemacht hatte, ohne es mir auch nur zu sagen.
Er…«
»Und diese Firma hieß…?« half Cavanaugh ihr
weiter.
»Verico. In Elizabeth, New Jersey.«
»Wie erfuhr Ihr Mann von der Position bei Verico?«
»Während der Mikrobiologenkonferenz in Las Vegas, bei
der wir waren, trat der Geschäftsführer von Verico mit dem
Angebot an ihn heran. Von Vegas flog Ben direkt nach Newark, nachdem
er die Nacht außerhalb des Hotels verbracht hatte. Ich nehme
an, er war bei einer anderen Frau.«
Ihr Tonfall blieb ruhig und gedämpft. Cavanaugh sah voraus,
daß diese Sache sie noch hart ankommen würde, wenn es
vorbei war mit der falschen Gelassenheit, und er schämte sich
ein wenig, daß er froh war, nicht dabeisein zu müssen,
wenn das passierte. Behutsam fragte er: »Und war er? Bei einer
anderen Frau?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe es nicht erfahren,
wenigstens nicht, was diese bestimmte Nacht betrifft. Aber nachdem
ich allein nach Hause geflogen war, ging ich seine Aufzeichnungen
durch und fand heraus, daß er ein Verhältnis mit seiner
Kollegin und Forschungsassistentin Doktor Caroline Lampert hatte. Und
zwar seit mindestens zwei Jahren, ältere
Kreditkartenabrechnungen hat Ben nicht aufgehoben.«
»Und so haben Sie…«
»Seit mindestens zwei Jahren«, wiederholte Mrs. Kozinski
ruhig. Sie griff nach einem Kissen und drückte es an sich.
»Und ich hatte nie einen Verdacht. Nicht bei Caroline.«
»Und so haben Sie…«
»Sie ist nicht einmal hübsch.«
Er wartete. Ihre Gesichtszüge blieben ruhig; alle
Gemütswallungen fanden unter der Oberfläche statt. Es war
geradezu unheimlich anzusehen. Dumpf begann Cavanaugh zu ahnen, was
Piperston gemeint hatte. Diese Frau war über mehr als eine
eheliche Untreue erschüttert. Etwas in den tektonischen Platten
ihres persönlichen Fundaments hatte sich verschoben.
»Als Ben nach Hause kam, zeigte ich ihm
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